Der Begriff des Kaskadenprinzips wird verwendet, um die jeweils vorrangig zu beachtende Rechtsvorschrift im deutschen Vergaberecht zu bestimmen. Das Kaskadenprinzip gibt vor, dass im Vergaberecht bei rechtlichen Konflikten zwischen den Hierarchieebenen stets die jeweils obere Ebene Vorrang vor der unteren Ebene hat. Dies stellt eine Besonderheit dar, da in vielen Rechtsgebieten das umgekehrte Prinzip Anwendung findet. Ein Gesetz zu Detailfragen eines Rechtsgebiets gilt stets vor den allgemeineren Rechtsvorschriften mit theoretischer Anwendbarkeit.
Man unterscheidet in Vergabeverfahren grundsätzlich zwischen Vergaben oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte. Abhängig davon, ob ein Auftrag die EU-Schwellenwerte überschreitet oder nicht, gelten unterschiedliche Rechtsvorschriften. Bei Aufträgen im Oberschwellenbereich, die europaweit ausgeschrieben werden müssen, dient das Kaskadenprinzip als eine Normenhierarchie. Dadurch wird die Rangfolge der verschiedenen Rechtsquellen bei oberschwelligen Vergaben geregelt, die national umgesetzt werden müssen.
Im Oberschwellenbereich des Vergaberechts werden Vergabeverfahren durch die folgenden Rechtsvorschriften näher geregelt:
Bei der Betrachtung des Kaskadenprinzips bietet es sich an, die einzelnen Schritte einzeln zu beleuchten. Bevor es an die genauen rechtlichen Vorschriften geht, muss vorerst definiert werden, um welche Art von Auftrag es sich handelt. Dafür muss die zu vergebene Leistung bestimmt und der Auftragswert verlässlich ermittelt werden, um im Anschluss daran zu entscheiden, ob es sich um einen oberschwelligen oder unterschwelligen Auftrag handelt. Genauere Informationen zu den aktuellen EU-Schwellenwerten finden Sie in unserem Glossar. Sobald die Schwellenwerte überschritten werden, muss das Projekt europaweit ausgeschrieben werden – man spricht in diesem Fall von Oberschwellenvergaben.
Die erste Ebene bei den Rechtsvorschriften im Oberschwellenbereich sind die EU-Richtlinien. Diese müssen vom deutschen Gesetzgeber in das nationale Recht umgesetzt werden. In den Richtlinien werden sowohl verbindliche Vorgehensweisen, als auch Bekanntmachungsmuster und Nachprüfungsverfahren festgehalten. Außerdem sind auch die nötigen Mindestanforderungen darin verfasst.
Aus den Grundfreiheiten der Europäischen Union leiten sich schließlich die Grundsätze des Vergaberechts ab. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) regelt die drei Grundsätze zur Transparenz, Gleichbehandlung und zum Wettbewerb. Sie sind den EU-Richtlinien untergeordnet und sollen für einen ungehinderten, fairen und funktionierenden Wettbewerb in Vergabeverfahren sorgen. Das GWB dient somit als eine Art Grundgesetz in der deutschen Wirtschaft.
In den weiterführenden Verordnungen werden Regelungen zu spezifischen Vergabeformen festgehalten. Dazu zählt die Verordnung für die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV). Darüber hinaus werden Konzessionsvergaben in einer separaten Verordnung, der sogenannten Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV), aufgeführt. Zusätzlich gibt es auch die Verordnung für Sektorenvergaben (SektVO) und die Vergabeverordnung für Verteidigung und Sicherheit (VSVgV). Jede dieser Vergabeformen ist ebenfalls in jeweils einer Richtlinie des EU-Rechtes enthalten.
Auf der letzten Ebene werden noch einige spezifische Vorschriften aufgeführt, die die Vergabe von Bauleistungen regeln. Dafür verwendet man die Vergabe- und Vertragsverordnung für Bauleistungen (VOB). Vor der Reform wurde zusätzlich auch auf die Vergabe- und Vertragsordnung von Lieferleistungen (VOL) und auf die Vergabeordnung von freiberuflichen Leistungen (VOF) verwiesen. Mittlerweile sind diese jedoch in der VgV enthalten.