Binnenmarktrelevanz

Manche Aufträge, die unterhalb des Schwellenwertes bleiben, müssen dennoch europaweit ausgeschrieben werden.

Was bedeutet "Binnenmarktrelevanz"?

Wenn im Zusammenhang mit Ausschreibungen von Binnenmarktrelevanz die Rede ist, sind damit Aufträge gemeint, die nicht nur für die im eigenen Land ansässigen Unternehmen von Interesse sind, sondern auch für Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten. Diese müssen dann auch europaweit ausgeschrieben werden, damit sich interessierte Unternehmen EU-weit darum bewerben können.

Da EU-weite Ausschreibungen für Vergaben, die sich im Oberschwellenbereich befinden, ohnehin vorgeschrieben sind, muss man sich hier mit der Binnenmarktrelevanz nicht auseinandersetzen. Anders ist das im Niederschwellenbereich. Hier muss nur national ausgeschrieben werden – außer wenn eine Binnenmarktrelevanz vorliegt.

Wann liegt eine Binnenmarktrelevanz vor?

Es gibt hierfür keine festen Kriterien. Die Binnenmarktrelevanz ist gesetzlich nicht geregelt, sondern ist durch die Rechtsprechung entstanden. So hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil vom 16.04.2015 (Rs C-278/14) und in einem Urteil vom 20.03.2018 (Rs C-187/16) klargestellt: Ein Auftrag ist binnenmarktrelevant, wenn für die in anderen EU-Mitgliedstaaten niedergelassene Wirtschaftsteilnehmer „angesichts bestimmter objektiver Kriterien ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht".

Auch die Europäische Kommission hat sich mit der Binnenmarktrelevanz öffentlicher Vergaben im Niederschwellenbereich befasst und sich in Mitteilungen dazu geäußert. Sowohl die Rechtsprechung als auch die Mitteilungspraxis der Kommission flossen in die Grundsätze mit ein, die hierfür heute gelten.

Die folgenden Kriterien sind für die Einschätzung hilfreich:

  • Befindet sich die Ausschreibungsstelle in der Nähe einer Binnengrenze? Bei einer Entfernung von bis zu 200 km ist die betreffende Ausschreibung in vielen Fällen auch für Unternehmen aus dem EU-Ausland interessant.
  • Handelt es sich um ein IT-Projekt? Dadurch, dass hier als Projektsprache üblicherweise Englisch gewählt wird, ist es grenzüberschreitend von Interesse.
  • Geht es um ein relativ hohes Auftragsvolumen, auch wenn es sich um eine Vergabe im Niederschwellenbereich handelt? Dann kann es auch für Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten von Interesse sein.

Was ist zu tun, wenn eine Vergabe binnenmarktrelevant ist?

Sobald von einer Binnenmarktrelevanz auszugehen ist, müssen Vergabestellen die folgenden Aspekte beachten:

Dies gilt auch dann, wenn das nationale Vergaberecht Anwendung findet.

Welche Folgen kann die Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz haben?

Wenn Vergabestellen die Binnenmarktrelevanz einer Ausschreibung nicht beachten, verstoßen sie gegen das Wettbewerbs-, das Transparenz- und das Gleichbehandlungsgebot. Sie müssen mit einer einstweiligen Verfügung rechnen.

Wie müssen binnenmarktrelevante Vergaben ausgeschrieben werden?

EU-weite, öffentliche Ausschreibung

Eigentlich reicht es laut nationalem Recht bei Vergaben im Niederschwellenbereich aus, wenn nur eine begrenzte Anzahl an Unternehmen zu einem Angebot aufgefordert wird. Anders bei binnenmarktrelevanten Vergaben. Hier muss ein öffentlicher Wettbewerb stattfinden und es muss EU-weit ausgeschrieben werden. Sowohl inländische als auch Unternehmen aus dem EU-Ausland müssen eine Chance haben, den Auftrag zu finden. Es reicht nicht, die Ausschreibungen auf die firmeneigene Interseite zu setzen.

Geeignete Fristen

Darüber hinaus müssen Vergabestellen die Fristen so festlegen, dass Bieterinnen und Bietern aus dem EU-Ausland genügend Zeit bleibt, um ein Angebot zu erstellen.

Faire Eignungskriterien

Auch die Eignungskriterien dürfen keinesfalls Bieter:innen aus dem EU-Ausland benachteiligen. Ein Beispiel ist der Meistertitel, welchen es lediglich in Deutschland gibt. Dieser darf bei EU-weiten Vergaben nicht als Kriterium festgelegt werden, da dies eine Voraussetzung ist, die Bewohner:innen anderer EU-Mitgliedsstaaten nicht erbringen können, weil es dort keinen Meistertitel gibt.

Weitere spannende Artikel

30.04.2021 11:45 | Hannah Simons Veröffentlicht in: Wissenswertes
Unsere gesamte Bevölkerung befindet sich in einem digitalen Umbruch. Es gibt kaum einen Lebensbereich mehr, der nicht von digitalen Anwendungen mitbestimmt wird, es kann sogar passieren, dass die öffentliche Toilette auf einmal mit einem kommunizieren möchte. Wenn man…
01.04.2020 08:16 | ibau Redaktion Veröffentlicht in: Wissenswertes
Neukund:innen sind immer eine gute Sache. Sicher wenden Sie in Ihrem Unternehmen einen Großteil der Marketing-Bemühungen darauf auf möglichst viele neue Interessenten zu generieren. Das ist auch gut so. Was viele Dienstleistunds- und Vertriebsunternehmen dabei jedoch…
14.09.2023 16:25 | Hannah Simons Veröffentlicht in: Wissenswertes
Kundenakquise ist eine der größten Herausforderungen für viele Unternehmen. Oft scheitert es daran, dass ein Unternehmen nicht weiß, wie es potentielle Kund:innen erreichen kann. Da Maßnahmen zur Neukundengewinnung teuer sind und die Erfolge nicht auf den ersten Blick…
24.10.2019 08:00 | ibau Redaktion Veröffentlicht in: Wissenswertes
Häufig sind in Bauverträgen Vertragsstrafen vereinbart. Diese können Regelungen enthalten, die unter gewissen Umständen unwirksam sind. Viele Bauunternehmen stellen sich die Frage, wann eine Vertragsstrafe wirksam ist und unter welchen Bedingungen sie diese nicht…
23.10.2020 09:20 | Jacqueline Segeth Veröffentlicht in: Wissenswertes
Seit Mai 2018 gilt mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) für Unternehmen besondere Vorsicht im Umgang mit personenbezogenen Daten. Das Ziel ist, wie der Name schon sagt, der Schutz persönlicher Daten von Kund:innen und Nutzer:innen. Aber welche Regeln und Gesetze…
23.09.2024 13:51 | Hannah Simons Veröffentlicht in: Wissenswertes
Unternehmensdatenbanken sind das Mittel der Wahl zur Marktbeobachtung und Neukundengewinnung. Erfahren Sie, warum!