Vergabe in Krisenzeiten: Wenn schnelles Reagieren gefragt ist

Tritt ein unvorhergesehenes Ereignis wie eine Flut oder ein Unwetter ein, muss schnell gehandelt werden. Für ein regelkonformes Vergabeverfahren fehlt dann die Zeit. Doch geht das so einfach?

Das Wichtigste zur Vergabe in Krisenzeiten in Kürze

  • Vergaberecht erlaubt Ausnahmen bei unvorhersehbaren Ereignissen wie Flut oder Pandemie
  • Einfache Dringlichkeit: verkürzte Fristen, mind. 10 Tage Angebotsfrist (§ 10 Abs. 1 VOB/A)
  • Besondere Dringlichkeit: kleiner Bieterkreis reicht, Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb möglich (§ 14 IV Nr. 3 VgV)
  • Direktvergabe nur erlaubt, wenn selbst verkürzte Verfahren zu lange dauern würden
  • Voraussetzungen: Dringlichkeit, Unvorhersehbarkeit, kein Verschulden der Vergabestelle
  • Nach Wegfall der Dringlichkeit muss reguläres Vergabeverfahren folgen
Vergaberechtsbuch - Was sagt es zur Vergabe in Krisenzeiten? © Zerbor / stock.adobe.com

Auch wenn es schon ein paar Monate her ist: Viele erinnern sich noch gut daran, dass im November 2021 Masken für die Polizei direkt bei der Modefirma Van Laack in Auftrag gegeben wurden – ohne vorherigen Wettbewerb, wie es eigentlich üblich ist. Es sollte halt schnell gehen, schließlich hatten wir eine Pandemie. Doch auch in dringenden Fällen kann das Vergaberecht nicht ganz außen vor gelassen werden, und so musste das Ganze rückabgewickelt und neu ausgeschrieben werden. Der Fall fand viel Aufmerksamkeit in den Medien und wurde als “umstrittener Masken-Deal” bezeichnet.
Ein weiteres Beispiel für eine Vergabe bei Dringlichkeit ist die Flutkatastrophe im Ahrtal. Als das Tal im Juli 2021 überflutet wurde, war keine Zeit zu verlieren. Es galt, möglichst rasch die Trümmer wegzuschaffen und die zerstörten Infrastrukturen wieder aufzubauen. Ähnlich war es beim Oderhochwasser 1997. Hier mussten rasch Sandsäcke beschafft werden, und eine Ausschreibung hätte zu lange gedauert.
Für solche Fälle hat das Vergaberecht vorgesorgt: Beschaffungenkönnen im Rahmen einer einfachen oder besonderen Dringlichkeit vorgenommen werden, und wenn die Zeit noch nicht mal für einen minimalen Wettbewerb reicht, sogar als Direktvergabe.

Wenn es sehr eilig ist: Vergabe bei Dringlichkeit

Die wichtigsten Grundprinzipien des Vergaberechts sind das Diskriminierungsverbot und der Gleichbehandlungsgrundsatz. Für beides ist ein fairer Wettbewerb mit mehreren Bewerberinnen und Bewerbern unerlässlich. Gleichzeitig können so Misswirtschaft und die Verschwendung öffentlicher Mittel vermieden werden. Doch wenn ein Katastrophenfall eingetreten oder eine Pandemie ausgebrochen ist, fehlt die Zeit für ein langwieriges Vergabeverfahren. Dann bietet das Vergaberecht Möglichkeiten dringend Benötigtes schnell und rechtssicher zu beschaffen.

Was bedeutet das für die Praxis?

Vorab muss geprüft werden, ob wirklich eine Dringlichkeit vorliegt. Hier wird zwischen einer einfachen und einer besonderen Dringlichkeit unterschieden. Für beides ist ein unvorhersehbares Ereignis erforderlich. Außerdem muss ein Kausalzusammenhang zwischen diesem Ereignis und der entstandenen Dringlichkeit bestehen.

Einfache und besondere Dringlichkeit

Liegen diese Voraussetzungen vor, geht man erstmal von einer einfachen Dringlichkeit aus. Bei dieser muss zwar trotzdem ein Wettbewerb stattfinden, aber immerhin kann gemäß § 10 Abs. 1 VOB/A die Angebotsfrist verkürzt werden. Sie muss dann nur noch mindestens zehn Tage betragen.
Die besondere Dringlichkeit besteht dann, wenn bedeutende Rechtsgüter wie etwa Menschenleben sowie hohe Vermögenswerte unmittelbar gefährdet sind. Die besondere Dringlichkeit räumt den Vergabestellen die Freiheit ein, einen “großen” Wettbewerb zu umgehen (§ 14 IV Nr. 3 VgV). Ein kleiner Bieterkreis ist dann ausreichend. Die Vergabestelle kann dann beispielsweise Angebote von den drei aussichtsreichsten Bieterinnen und Bietern anfordern.
Leider ist die Frage, wie eine besondere Dringlichkeit definiert werden kann, nicht ohne weiteres zu beantworten. Der Grund: Diese wird in jedem Vergaberecht geregelt. Da sich die meisten Konflikte auf Vergaben im Oberschwellenbereich beziehen, nehmen wir diese an dieser Stelle als Beispiel.
Im Oberschwellenbereich dürfen öffentliche Auftraggeber.innen Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn die folgenden drei Voraussetzungen erfüllt sind:

  1. Es müssen äußerst dringliche, zwingende Gründe vorliegen.
  2. Die Einhaltung der Mindestfrist ist nicht möglich.
  3. Die Ereignisse waren nicht vorhersehbar und der Auftraggeber hat sie nicht verschuldet.

Wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann eine Vergabe im Rahmen der besonderen Dringlichkeit durchgeführt werden. In manchen Fällen muss sogar gar kein Wettbewerb stattfinden, sondern der Auftrag kann direkt vergeben werden (Direktvergabe). Doch die Frage, ob eine Direktvergabe durchgeführt werden kann, sorgt immer wieder für Diskussionen.

Wann sind Direktvergaben erlaubt?

In Krisenzeiten sind Beschaffungen manchmal so dringend, dass selbst für einen minimalen Wettbewerb, wie er im Rahmen der besonderen Dringlichkeit stattfinden muss, keine Zeit bleibt – beispielsweise bei Naturkatastrophen. Dann können Aufträge ausnahmsweise mit einer Direktvergabe vergeben werden – doch das gilt wirklich nur ausnahmsweise. Die folgenden zwei Voraussetzungen müssen dafür vorliegen:

  1. Es muss eine besondere Dringlichkeit gemäß § 14 IV Nr. 3 VgV bestehen.
  2. Die Beschaffung ist so dringend, dass auch eine Fristverkürzung, wie es sie bei der einfachen oder besonderen Dringlichkeit gibt, nicht ausreichen würde.

Die zweite Voraussetzung sorgt in der Praxis oft für Kopfzerbrechen, denn es muss genau geprüft werden, ob nicht doch eine Verfahrensart mit Fristverkürzung und einem kleineren Bieterkreis reichen würde.
Die Direktvergabe wird auch als Interimsbeauftragung bezeichnet, weil sie sich immer auf einen kurzen Zeitraum bezieht. Ist die Dringlichkeit nicht mehr gegeben, muss ein Vergabeverfahren durchgeführt werden.

Fazit

Das Vergaberecht möchte einen fairen Wettbewerb ermöglichen. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen dieselben Chancen haben, wenn es darum geht, eine Ausschreibung zu gewinnen. Doch das ist nicht in Stein gemeißelt: In Krisenzeiten macht das Vergaberecht durchaus Ausnahmen – gerade dann, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht oder die existentielle Daseinsvorsorge sichergestellt werden muss. Für diese Fälle von besonderer Dringlichkeit macht es das Vergaberecht möglich, mit kürzeren Fristen und mit einem kleineren Bieterkreis auszuschreiben. Gerade bei unvorhergesehenen Ereignissen wie der Flutkatastrophe im Ahrtal ist dieses verkürzte wettbewerbliche Verfahren wichtig, denn nur so kann schnell reagiert werden.

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ibau Autorin Iris Jansen
Iris Jansen

Iris Jansen war von Juni 2021 bis Mai 2024 als Content-Managerin bei der ibau GmbH in Münster tätig. Sie versorgte die Leser:innen gemeinsam mit ihren Kolleginnen die Rubrik „Wissenswertes“ mit neuen Inhalten: Was tut sich im Handwerk? Wie reagiert die Bauwirtschaft auf die aktuellen Herausforderungen? Themen rund um Holz und Beton mochte sie gern und freute sich über gleichgesinnte Leser:innen, die mit ihr die Baustellen streifen wollten. Als ausgebildete Technische Redakteurin interessierte sie sich für die technischen und handwerklichen Details, behielt dabei das große Ganze im Blick. Laut Iris gab es im Baubereich viele spannende Fragen, die beantwortet werden wollen – nicht zuletzt, um allen Bauinteressierten dabei zu helfen, den Überblick zu behalten.