Vergabe: Bei Fehlern rechtzeitig reagieren
Hat die Vergabestelle ein Angebot angenommen und nachträglich einen Fehler bemerkt, muss sie handeln. Ansonsten drohen Schadensersatzforderungen.
Das Wichtigste zu Fehlern im Vergabeverfahren in Kürze
- §126 GWB ermöglicht Schadensersatz, wenn ein Bieter trotz besten Angebots zu Unrecht leer ausgeht
- Kleiner Schadensersatz: Erstattung der Angebotskosten bei Rücknahme der Ausschreibung
- Großer Schadensersatz: Ersatz des entgangenen Gewinns, wenn ein anderer zu Unrecht den Zuschlag bekam
- Vorab-Rüge nicht zwingend, kann aber Schadensersatzhöhe beeinflussen
- Vergabestellen dürfen Verfahren aufheben und neu ausschreiben, wenn Fehler entdeckt werden
- Kein Schadensersatz, wenn neue Ausschreibung korrekt und ohne Diskriminierung durchgeführt wird

Sich auf Ausschreibungen zu bewerben, kann eine frustrierende Angelegenheit sein. Es gilt, viele Ausschreibungsunterlagen auszufüllen und das Angebot möglichst wirtschaftlich zu gestalten. Doch oft entscheidet sich die Vergabestelle dann doch für ein Konkurrenzunternehmen – und die ganze Arbeit war umsonst. Letztendlich kann der Auftrag ja auch nur ein einziges Mal vergeben werden. Meist müssen sich die Bieterinnen und Bieter damit abfinden, dass jemand anders die Zusage bekommen hat und sie selber leer ausgehen.
Schadensersatz
Doch was ist, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass ein:e Bieter:in den Auftrag zu Unrecht erhalten hat? Da dies in der Praxis immer mal wieder passiert, hat die Gesetzgebung für solche Fälle Regelungen getroffen. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§126 GWB) sorgt dafür, dass Bieterinnen und Bieter ihre Angebotskosten erstattet bekommen, wenn sie benachteiligt wurden. Es kann allerdings nur im Oberschwellenbereich angewendet werden. Kern dieses Paragraphen ist das Vertrauen, das Bieterinnen und Bieter der Ausschreibungsstelle entgegengebracht haben. Dadurch, dass die ausschreibende Stelle Unternehmen dazu aufgefordert hat, ihr Angebote zu schicken, wird ein Vertrag angebahnt. In diesem vorvertraglichen Stadium hat sie bereits Pflichten gegenüber den Bieter:innen: Sie muss die Vergabegrundsätze einhalten. Verstößt sie gegen diese, ist sie dazu verpflichtet, der unterlegenen Partei den Schaden zu ersetzen. Ein häufiger Verstoß liegt darin, dass jemand den Zuschlag erhält, der nicht das beste Angebot abgegeben hat.
Natürlich können sich Bieter:innen nur dann auf den §126 GWB berufen, wenn sie das beste Angebot abgegeben haben und sie den Auftrag eigentlich hätten bekommen müssen. Das müssen sie aber nachweisen. Wie hoch der Schadensersatz letztlich ausfällt, richtet sich nach den §§249 ff. BGB.
Kleiner Schadensersatz
Eine Vergabestelle schreibt einen Auftrag aus. Daraufhin machen sich verschiedene Bieter:innen die Mühe, ein Angebot abzugeben. Die Vergabestelle zieht den Auftrag aber zurück, so dass alle Bieter:innen leer ausgehen. Wenn das Angebot nicht zurückgezogen worden wäre, wären nicht alle, sondern fast alle leer ausgegangen. Eine Bieterin oder ein Bieter hätte den Zuschlag erhalten – und diejenige oder derjenige muss so gestellt werden, als hätte sie oder er nie etwas von der Ausschreibung gehört. Entschädigt wird hier das negative Interesse, also die Angebotskosten. Hierunter fallen die Personal- und Sachkosten, die entstanden sind. Es muss auch nicht nachgewiesen werden, dass das Personal andere Einkünfte erwirtschaftet hätte, wenn es sich nicht darum gekümmert hätte, ein Angebot zu erstellen – so der Bundesgerichtshof (siehe BGH, Urt. v. 8. Dezember 2020, XIII ZR 19/19).
Die nachrangigen Bieterinnen und Bieter müssen nicht berücksichtigt werden. Der kleine Schadensersatz greift nur im Oberschwellenbereich und richtet sich nach den § 181 GWB ff.
Großer Schadensersatz
Beim kleinen Schadensersatz geht es um die Erstattung der Angebotskosten, wenn ein Auftrag nachträglich zurückgezogen wurde. Doch auch wenn ein Auftrag tatsächlich vergeben wurde, haben Bieter:innen manchmal einen Anspruch auf Schadensersatz. Jeder Auftrag muss bekanntlich nach den vergaberechtlichen Kriterien vergeben werden. In der Praxis erhält trotzdem manchmal nicht das beste Angebot den Zuschlag, sondern wird schlichtweg übergangen. In diesem Fall hat die Zuschlagskandidatin oder der Zuschlagskandidat ein Anspruch auf Schadensersatz. Er oder sie muss so gestellt werden, also ob er oder sie den Auftrag erhalten hätte. Dieses sogenannte positive Interesse umfasst den Gewinn, welcher der Bieterin oder dem Bieter durch die Lappen gegangen ist, weil sich die Vergabestelle nicht an die Vergaberegeln gehalten hat. Dieser muss ersetzt werden. Hierfür müssen die Bieterin oder der Bieter darlegen, welchen Gewinn sie wahrscheinlich erzielt hätten und von diesem die eigenen Kosten abziehen, die angefallen wären.
Der Anspruch hierfür ergibt sich aus den §280 GBG ff.
Muss vorab eine Rüge ausgesprochen werden?
Diese Frage, ob vorab eine Rüge ausgesprochen werden muss, hat bereits den Bundesgerichtshof beschäftigt und lässt sich verneinen. Er hat diesbezüglich zweimal geurteilt (18. Juni 2019, X ZR 86/17 und 17. September 2019, X ZR 124/18). Ein Unternehmen, das einenVerstoß gegen das Vergaberecht entweder nicht gerügt oder aber die Rüge wieder zurückgezogen hat, darf trotzdem von den Zivilgerichten Schadensersatz einfordern. Doch nicht immer ohne Einschränkungen: Je nach Einzelfall kann der Bieterin oder dem Bieter ein Mitverschulden (§ 254 BGB) angelastet werden. Das kann dazu führen, dass sie weniger Schadensersatz erhalten. Deshalb empfiehlt es sich, auf jeden Fall vorab eine Rüge auszusprechen.
Sonderfall: Vergabe außerhalb des Verfahrens
Es kommt manchmal vor, dass öffentliche Ausschreibungen aufgehoben, also wieder zurückgezogen werden. Dies kann aus verschiedenen Gründen passieren. Häufig gefallen den Auftraggeber:innen die Preisvorstellungen der Bieter:innen nicht. Was liegt da näher, als die Ausschreibung einfach wieder zurückzuziehen? Doch hier ist Vorsicht geboten: Ein Vergabeverfahren lässt sich nur dann aufheben, wenn es einen Aufhebungsgrund gemäß § 63 VgV gibt. Ansonsten muss der öffentliche Auftraggeber beziehungsweise die öffentliche Auftraggeberin Schadensersatz zahlen. Im Regelfall müssen nur die Kosten für das negative Interesse erstattet werden. Anders sieht es aus, wenn der Auftrag erst aus nicht sachlichen und nicht willkürfreien Gründen zurückgezogen und dann an ein drittes Unternehmen vergeben wird – etwa, weil dieses niedrigere Preise bietet. Dann hat die oder der Zuschlagskandidat:in einen Anspruch darauf, neben den negativen Kosten auch die positiven erstattet zu bekommen.
Wie können sich Vergabestellen vor Klagen schützen?
Für Vergabestellen kann es teuer werden, wenn Bieter:innen Schadensersatz fordern – und das Risiko einer Klage schwingt immer mit, denn grundsätzlich kann jedes Vergabeverfahren oberhalb der Schwellenwerte auf Vergaberechtskonformität überprüft werden. Doch ausschreibende Stellen können ein paar Dinge tun, um das Risiko zu minimieren. Zum einen sollten sie Ausschreibungen nur dann nachträglich zurückziehen, wenn ein Aufhebungsgrund (vgl. etwa § 63 VgV) vorliegt. Außerdem sollten sie das Vergabeverfahren sorgfältig dokumentieren und die einzelnen Verfahrensschritte plausibel begründen.
Beispiel: Aufhebung und fehlerfreie Neuvergabe
Nicht jeder Fehler im Vergabeverfahren und nicht jede Aufhebung eines öffentlichen Auftrags führt zu einem Anspruch auf Schadensersatz. Ende 2021 gab es diesbezüglich einen interessanten Fall, der am Bundesgerichtshof entschieden wurde.
Der Fall
Der spätere Kläger bewarb sich im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung auf den Auftrag, bei dem Bodenbelagsarbeiten ausgeführt werden sollten. Leider enthielten die Vergabeunterlagen einen Fehler: Statt wie eigentlich gedacht 4.480 Quadratmeter Bodenfläche waren nur 230 Quadratmeter angegeben. Das spielt eine große Rolle, denn für größere Flächen kann man einen günstigeren Quadratmeterpreis zusichern, weil Händler:innen bei größeren Bestellungen niedrigere Preise garantieren können. Dies führte dazu, dass der Kläger einen Einheitspreis von 6,75 Euro anbot, der Mitbieter jedoch lediglich 3,50 Euro. Die Vergabestelle bemerkte ihren Fehler, schloss mit dem Mitbieter einen Aufhebungsvertrag ab und initiierte ein neues Vergabeverfahren. Doch auch bei diesem unterlag der Kläger. Daraufhin forderte er vor dem Landgericht Schadensersatz in Höhe von 32.000 Euro zuzüglich Verzugszinsen. Vor dem Landgericht blieb er erfolglos, doch das Berufungsgericht gab ihm Recht. Der Fall ging weiter an den BGH, wo die Klage letztlich doch abgewiesen wurde.
Kein Anspruch auf Schadensersatz
Der BGH begründet dies folgendermaßen: Bieterinnen und Bietern muss nur dann ein entgangener Gewinn ersetzt werden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt werden. Zum einen hätte die oder der unterlegene Bieter:in das beste Angebot abgegeben haben müssen. Zum anderen hätte eine Mitbewerberin oder ein Mitbewerber den Zuschlag erhalten haben müssen. Hier wurde das erste Vergabeverfahren aufgehoben, so dass der Mitbieter den Auftrag nicht erhalten hat. Ein Schadensersatz ist nur dann gegeben, wenn jemand Drittes den Auftrag auch tatsächlich erhält. Der Auftrag wurde neu ausgeschrieben – diesmal ohne Fehler. Auch das Vergabeverfahren lief fehlerfrei ab. Somit steht dem Kläger laut BGH kein Schadensersatz zu.
Fazit
Ein Anspruch auf entgangenen Gewinn ist in der Praxis eher selten. Wenn Vergabestellen im Vergabeprozess einen Fehler gemacht haben, haben geschädigte Bieterinnen und Bieter zwar grundsätzlich einen Anspruch auf Entschädigung – aber nur, wenn sie nachweisen können, dass sie bei einem ordnungsgemäßen Verfahren den Auftrag hätten bekommen müssen. Doch wenn die Vergabestelle einen Fehler bemerkt, darf sie die Ausschreibung zurückziehen und den Auftrag neu ausschreiben. Wenn die neue Ausschreibung vergaberechtskonform abläuft und der anspruchsbegründende Fehler beseitigt wurde, gibt es auch keinen Anspruch mehr auf Schadensersatz.