Vergabeverfahren: Was tun bei Widersprüchen?
Wenn Angebote widersprüchliche Angaben enthalten, dürfen sie nicht ohne weiteres von der Vergabe ausgeschlossen werden. Vielmehr ist die Vergabestelle in der Pflicht, bei Unklarheiten nachzuhaken.
Das Wichtigste zu Widersprüchen im Vergabeverfahren in Kürze
- Widersprüchliche Angaben in Angeboten dürfen nicht automatisch zum Ausschluss führen
- BGH-Urteil (2019) verpflichtet Vergabestellen zur Aufklärung solcher Unklarheiten
- Vertragsklauseln, die Aufklärungspflicht ausschließen, sind unzulässig
- Ausnahme: widersprüchliche Preisangaben – diese müssen zum Ausschluss führen
- Vergabestellen müssen Widersprüche auslegen und Bieter zur Korrektur auffordern
- Ziel: faire Verfahren, keine formalen Ausschlüsse bei korrigierbaren Fehlern

Immer mal wieder werden Vergabestellen mit Angeboten konfrontiert, die in sich widersprüchlich sind. Nun heißt es erst mal, das Angebot entsprechend auszulegen und auszuwerten. Lassen sich die Widersprüche nicht aufklären, ist die Versuchung groß, dieses einfach abzulehnen – schließlich kosten Klärungsversuche Zeit. Doch das sollten sich Vergabestellen gut überlegen. Die aktuelle Rechtsprechung gibt meist den Bieterinnen und Bietern Recht. Wichtig in diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2019. Damals ging es um widersprüchliche Erklärungen eines Bieters und um die Frage, ob dieser formale Mangel zu einem Ausschluss aus dem Vergabeverfahren führt. Der BGH verneinte dies. Er vertritt vielmehr die Ansicht, dass hier die Auftraggeber:innen in der Pflicht sind und bei widersprüchlichen Angaben schlichtweg nachhaken müssen.
Inhaltsverzeichnis
Der Fall
Trotz des Urteils gibt es in der Praxis noch unterschiedliche Auffassungen darüber, wie mit widersprüchlichen Angaben umgegangen werden muss. Die Vergabekammer des Bundes musste in den letzten Monaten so einen Fall entscheiden.
Eine Bieterin hatte ein Angebot für Bewachungsleistungen erstellt, die ausgeschrieben waren. Es handelte sich um ein europaweites, nichtoffenes Verfahren mit Teilnahmewettbewerb. Eine wesentliche Voraussetzung war es, für jede Schicht mindestens fünf Wachpersonen einzuplanen. Darüber hinaus waren alle Bieter:innen dazu aufgefordert, einen auftragsbezogenen Monats-Musterdienstplan anzufertigen und ein Personalkonzept zu erarbeiten.
Ausschluss vom Vergabeverfahren
Die oben genannte Bieterin reichte die gewünschten Vergabeunterlagen ein – allerdings enthielten diese in einem Punkt widersprüchliche Angaben. In ihrem Musterdienstplan waren nur vier Wachpersonen pro Schicht eingetragen, in ihrem Personalkonzept hatte sie fünf vorgesehen. Die Vergabestelle gab der Bieterin keine Gelegenheit, diesen Fehler zu korrigieren, sondern schloss sie vom Vergabeverfahren aus. Als Begründung verwies sie auf die widersprüchlichen Angaben in den eingereichten Unterlagen und führte noch mal auf, dass pro Schicht fünf Wachpersonen nötig seien.
Aufklärungspflicht vertraglich ausgeschlossen?
Ein weiteres wichtiges Detail: Die Vergabestelle wollte sich bereits im Vorfeld die Möglichkeit schaffen, unschlüssige Angebote ausschließen zu können, ohne die jeweiligen Bieter:innen darauf hinweisen zu müssen und legte in den Vergabeunterlagen fest, dass unschlüssige Ausführungen zum Ausschluss des Angebots führen.
Die Bieterin rügte erfolglos, dann stellte sie einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes. Sie beanstandete, dass die Vergabestelle ihr nicht gesagt hatte, dass die Angaben im Musterdienstplan im Widerspruch zu den Angaben im Personalkonzept waren – denn dann hätte sie diesen Flüchtigkeitsfehler aufklären können.
Die Vergabekammer des Bundes
Die Vergabekammer entschied zugunsten der Klägerin. Sie sagt, dass sich aus widersprüchlichen Angaben in einem Angebot kein unmittelbarer und direkter Ausschlussgrund ergibt und verweist auf die aktuelle Rechtsprechung, vor allem auf das Urteil des BGH aus dem Jahr 2019 (vgl. BGH, Urt. v. 18.06.2019 – X ZR 86/17). Demnach haben Vergabestellen nicht die Möglichkeit, widersprüchliche Angebote ohne Rücksprache vom Vergabeverfahren auszuschließen. Vielmehr muss sie die Bieterinnen oder die Bieter darauf hinweisen – und es ihnen so ermöglichen, diesen Fehler auszumerzen. Gerade im vorliegenden Fall sei es sehr wahrscheinlich, dass es sich um ein Versehen handeln müsse. Hier liege es nicht im Ermessen der Vergabestelle, ob sie über die widersprüchlichen Angaben aufklären wolle – sie habe die Pflicht dazu. Das Aufklärungsermessen habe sich auf eine Aufklärungspflicht reduziert, so die Vergabekammer.
Aufklärungspflicht kann man vertraglich nicht ausschließen
Nun hatte die Vergabestelle ja bewusst einen Passus eingeführt, um Vergabeunterlagen mit unschlüssigen Angaben abblocken zu können – doch das ist so nicht rechtens. Eine Aufklärungspflicht lässt sich nicht einfach durch vertragliche Regelungen ausschließen. Es gilt nämlich der zentrale Wettbewerbsgrundsatz. Demnach dürfen Vergabeunterlagen nicht an einem formalen Fehler scheitern, wenn es vergaberechtskonforme Möglichkeiten gibt, diesen auszumerzen – zum Beispiel durch Aufklärung, wie im vorliegenden Fall.
Ausnahme: Widersprüchliche Preisangaben
Es besteht bei widersprüchlichen Angaben zwar grundsätzlich eine Aufklärungspflicht, doch hierbei gibt es eine Ausnahme. Immer wenn ein:e Bieter:in in den Vergabeunterlagen unterschiedliche Preise angegeben hat, ist die Vergabestelle weder zur Auslegung noch zur Aufklärung verpflichtet. Vielmehr ist es so, dass sie Angebote mit widersprüchlichen Preisangaben von der Vergabe ausschließen müssen. Dies ergibt sich aus der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) (§§ 16a Abs. 2 Satz 2, 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU).
Eine Tendenz ist erkennbar
Vergabestellen können Angebote, die einen formalen Mangel haben, nicht von vornherein ausschließen. Sie müssen erst prüfen, ob sich der Mangel in rechtskonformer Weise korrigieren lässt. Diese Tendenz hat in den letzten Jahren Einzug in die vergaberechtliche Rechtsprechung gefunden. Im vorliegenden Fall ging es um die Anzahl von Wachpersonen. In einem anderen Fall, der 2020 am Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen verhandelt wurde, ging es um Subunternehmen, die der Bieter beauftragt hatte und zu denen er widersprüchliche Angaben gemacht hatte. Die Vergabestelle klärte die Widersprüchlichkeit auf und vergab den Auftrag an den Bieter. In den Augen des Fördermittelgebers war dies vergaberechtswidrig und er klagte dagegen – ohne Erfolg. Das OVG Sachsen wies die Klage ab; der Auftraggeber sei zur Aufklärung verpflichtet gewesen (OVG Sachsen, Urt. v. 21.10.2020 – 6 A 954/17).
Was bedeutet das für die Vergabepraxis?
Es gibt ein paar Punkte, die Vergabestellen beachten sollten, um vergaberechtskonform mit formalen Mängeln umzugehen:
- Auslegung der widersprüchlichen Angaben: Enthalten die Vergabeunterlagen widersprüchliche Angaben? Fassen Sie am Besten eindeutig zusammen, worin dieser Widerspruch besteht. Prüfen Sie, ob sich die Widersprüchlichkeit durch eine Auslegung ausräumen lässt. Gehen Sie hierfür vom objektiven Empfängerhorizont gemäß §§133, 157 BGB aus – also von dem, was eine vernünftige Person an der Stelle des Empfängers verstehen würde.
- Der Aufklärungspflicht nachkommen: Die widersprüchlichen Angaben lassen sich durch Auslegung nicht aufklären? Gleichzeitig ist es wahrscheinlich, dass ein Fehler beim Ausfüllen der Unterlagen gemacht wurde? Dann sind Sie dazu verpflichtet, die Bieterin oder den Bieter über die widersprüchlichen Angaben zu informieren, damit sie diese richtig stellen können.
- Auf das Nachverhandlungsverbot achten: Die Aufklärungspflicht bezieht sich nur darauf, Unklarheiten bezüglich des Angebotsinhaltes aus dem Weg zu räumen. Das Angebot an sich darf nachträglich nicht geändert werden.
- Mit widersprüchlichen Preisangaben richtig umgehen: Enthalten die Vergabeunterlagen einer Bieterin oder eines Bieters widersprüchliche Preisangaben? Hier können Sie die Angaben weder durch Auslegung noch durch Aufklärung beseitigen. Vielmehr müssen Sie das Angebot ausschließen.
Fazit
Die Aufklärungspflicht müssen die Vergabestellen in Zukunft stärker beachten als bisher. Es empfiehlt sich, der aktuellen Rechtsprechung zu folgen. Wenn die Angebote von Bieterinnen und Bietern widersprüchliche Angaben enthalten, sollte die jeweilige Vergabestelle die Aufklärungspflicht in jedem Fall beachten.