Müssen Bieterfragen noch kurz vor knapp beantwortet werden?
Nicht wenige Bieter:innen stellen ihre Bieterfragen erst kurz vor Ablauf der Angebotsfrist. Die Beantwortung dieser Fragen kann die jeweilige Vergabestelle daher in zeitliche Schwierigkeiten bringen. Dürfen diese eine Frist für das Stellen von Fragen festlegen?
Das Wichtigste zu Bieterfragen in Kürze
- Grundsatz: Verständliche, vollständige Unterlagen sind Pflicht – berechtigte Bieterfragen sind Teil des geordneten Vergabeverfahrens
- Rechtslage: Anspruch auf Auskünfte ergibt sich u. a. aus VOB/A; Gleichbehandlung & Transparenz gebieten Klärung sachdienlicher Fragen
- Fristen setzen: Üblich sind interne Fragefristen (z. B. 10–12 Tage vor Angebotsende) – sie disziplinieren, ersetzen aber keine Rechtsansprüche
- Späte Fragen: Hebeln die Frist aus, wenn ein Mangel aufgedeckt wird; dann Infos nachreichen und Angebotsfrist nötigenfalls verlängern (VK Bund)
- Gegenposition: EU-Richtlinie/nationales Recht sehen i. d. R. keine Pflicht für Anfragen <6 Tage vor Fristende – teils so entschieden
- Praxis: Fragen nie pauschal wegen „Verspätung“ ignorieren; Relevanz für Kalkulation prüfen, Änderungen = regelmäßig Frist verlängern; lieber kurz verlängern als Nachprüfungsverfahren riskieren
In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Bieter:innen beim Lesen der Vergabeunterlagen oder der Leistungsbeschreibung über Details stolpern, die sie nicht auf Anhieb verstehen. Oder es fehlen wichtige Informationen wie beispielsweise die Angabe, was alles im Endpreis einzukalkulieren ist. Manchmal ist der Ausschreibungstext aber auch einfach unklar formuliert – gerade bei großen Vergaben mit umfassenden Ausschreibungsunterlagen kommt das häufiger vor. Aber auch wenn alles eindeutig und vollständig formuliert wurde, tauchen immer mal wieder Fragen zu bestimmten Aspekten auf. Manche Bieter:innen bitten zum Beispiel um einen detaillierteren Leistungskatalog, eine relevante Frage für die anschließende Angebotskalkulation. Ebenso kann es vorkommen, dass die einzelnen Lose nicht klar voneinander abgegrenzt sind.
Bieterfragen gehören zum Vergabeprozess
Bieter:innen haben gemäß §121 Abs.1 GWB einen Anspruch auf eine umfassende Leistungsbeschreibung. Sie soll den Auftragsgegenstand “so eindeutig und erschöpfend wie möglich” beschreiben. Bei Fragen sollen und dürfen Bieter:innen die Vergabestellen kontaktieren und um weiterführende Informationen bitten. Darüber hinaus sind viele Fragen auch mehr als berechtigt! Es ist sogar essentiell, dass auftretende Fragen geklärt werden – Bieter:innen müssen schließlich alle Punkte der Ausschreibung verstehen, um richtig kalkulieren und ein ordnungsgemäßes Angebot abgeben zu können. Auch wenn die Ausschreibungsunterlagen offensichtliche Fehler enthalten, ist es ratsam, die jeweilige Vergabestelle darauf hinzuweisen. Schließlich können Fehler in den Vergabeunterlagen zu einem Nachprüfungsverfahren führen, was für alle Beteiligten von Nachteil ist. Stärker noch, bei offensichtlichen Fehlern besteht sogar eine Mitwirkungspflicht seitens der Bieter:innen. Und nicht zuletzt helfen Anmerkungen oft dabei, das bestehende Vergabeverfahren für alle verständlicher zu machen. Dies kann auch bei künftigen Ausschreibungen helfen.
Wenn es am “Timing” hapert
Sehr zum Leidwesen der Vergabestellen lassen sich so manche Bieter:innen mit dem Formulieren von Fragen viel Zeit. Es kommt vor, dass diese noch kurz vor Ablauf der Angebotsfrist mit Fragen an die jeweilige Vergabestelle herantreten. Doch das Beantworten kostet Zeit, und die ist knapp – erst recht, wenn die Frage so spät eintrudelt. Es kann sogar vorkommen, dass das Verfahren nicht innerhalb des veröffentlichten Zeitplans durchgeführt werden kann, was auf allen Seiten zu Verzögerungen führt. Dem möchten die Vergabestellen gerne vorbeugen, indem sie Fristen für Bieterfragen setzen. Doch dürfen sie das? Bis zu welchem Zeitpunkt müssen Vergabestellen die ungeliebten "kurz-vor-knapp" Fragen noch beantworten?
Die rechtliche Grundlage für Bieterfragen
Grundsätzlich gilt: Die Vergabestellen müssen Bieterfragen beantworten und offene Punkte klären. Die VgV und die UVgO enthalten zwar keinen Anspruch der Bieter:innen auf Beantwortung ihrer Fragen, doch dieser ergibt sich aus der VOB/A (§ 12a Abs. 4) und der VOB/A EU (§ 12a Abs. 3).
Indirekt führt auch das Gleichbehandlungs- und Transparenzgebot dazu, dass Vergabestellen Bieterfragen beantworten müssen, aber nur, wenn die Frage auf “zusätzliche und sachdienliche” Auskünfte abzielt. Damit sind Verständnisfragen zu den Vergabeunterlagen gemeint. Im besten Fall lassen sich so Missverständnisse aus der Welt räumen.
Bis “wie kurz vorher” dürfen Bieter:innen ihre Fragen stellen?
Grundsätzlich dürfen sie das, denn sie haben einen Anspruch auf ein geordnetes Vergabeverfahren - und dazu gehören auch eindeutige Regeln für Bieterfragen. Viele legen bei europaweiten Ausschreibungen eine Frist von 10-12 Kalendertagen vor Ablauf der Angebotsfrist fest.
Manche halten in ihren Ausschreibungsunterlagen sogar fest, dass Fragen nach Ablauf der Frist nicht beantwortet werden. Doch was geschieht tatsächlich, wenn eine Bieterfrage nach Ablauf der Frist eintrudelt? Können diese seitens der Vergabestelle einfach ignoriert werden? Das wäre keine gute Idee, denn in vielen Fällen würde es entweder gegen das Transparenzgebot verstoßen oder gegen die Verpflichtung zu eindeutigen und klaren Vorgaben.
Hebeln berechtigte Fragen die Frist aus?
Der VK Bund hat dazu eine klare Meinung: Sobald ein:e Bieter:in eine berechtigte Frage stellt, sei es unerheblich, ob gegen eine Frist verstoßen wurde. Berechtigt sei eine Frage dann, wenn sie einen Mangel aufgedeckt hat. Manchmal ist beispielsweise die Leistungsbeschreibung zu lückenhaft oder nicht eindeutig formuliert. Dies muss auf jeden Fall korrigiert beziehungsweise nachgeholt werden – auch dann, wenn die Frist bereits verstrichen ist.
In dem Fall muss den Bieter:innen auch mehr Zeit eingeräumt werden. Dies leuchtet ein, denn wenn aufgrund einer Bieterfrage neue Informationen zur Verfügung stehen, müssen die Bieter:innen ihre Angebote entsprechend anpassen – so der VK Bund (VK Bund, Beschl. v. 28. Januar 2017, VK 2-129/16).
Kontra: Was spricht dagegen?
Kritiker:innen kontern mit Artikel 47 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU, der den Umgang mit Zusatzinformationen regelt. Diese müssen bis spätestens sechs Tage vor Ablauf der Angebotsfrist angefragt werden, ansonsten müssen sie nicht herausgegeben werden.
Vereinfacht gesagt: Trudeln Fragen nicht sechs Tage vor Ablauf der Angebotsfrist bei der Vergabestelle ein, müssen sie nicht mehr beantwortet werden. Die Richtlinie wurde in nationales Recht umgewandelt, und zwar in Form der Paragraphen 20 Abs. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VgV und 10a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 VOB/A EU. Dem folgt teilweise auch die Rechtsprechung (Saarbrücken, Beschl. v. 18. Mai 2016, 1 Verg 1/16 und VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 26. März 2010, 1 VK 11/10). Da die Frist für alle Bieter:innen gilt, bleibe der Gleichbehandlungsgrundsatz unangetastet, so die Richter:innen.
Praxistipps
Henning Feldmann, Fachanwalt für Vergaberecht, rät im Vergabeblog.de vom 20/05/2021 (Nr. 46992) dazu, Bieterfragen nicht mit dem Verweis auf „Verspätung“ unbeantwortet zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Vergabestelle sich daraufhin mit Rügen und Nachprüfungsverfahren auseinandersetzen muss, ist sehr hoch. Dennoch sei es ratsam, eine Frist zur Stellung der Bieterfragen prominent zu platzieren, da dies erfahrungsgemäß zur Disziplinierung der Bieter beitrage. Zudem bedinge nicht jede Bieterfrage wenige Tage vor Ablauf der Angebotsfrist eine Verlängerung. § 20 Abs. 3 Satz 3 VgV und § 10a Abs. 6 Satz 3 VOB/A EU machen dies davon abhängig, ob zusätzliche Informationen oder die Änderung für die Angebotserstellung erheblich sind oder nicht. Werden allerdings tatsächliche Änderungen in der Vergabeunterlagen vorgenommen, dürfe es im Regelfall zu einer Verlängerung kommen. Bei zusätzlichen Informationen und Erläuterungen dürfte der Frage nach der Kalkulationsrelevanz maßgebliche Bedeutung zukommen. Ob und wie kalkulationsrelevant eine zusätzliche Information ist, kann eine Vergabestelle schwer beurteilen. Allerdings kann man sagen, dass lediglich formale und verfahrenstechnische Anpassungen als nicht kalkulationsrelevant gelten. Im Zweifelsfall trägt jedoch die Vergabestelle die Beweislast, weshalb diese gut beraten ist, eine Angebotsverlängerung nicht zu schnell abzulehnen, denn eine Fristverlängerung um wenige Tage schadet weniger als eine spätere Auseinandersetzung.
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