Wenn Inklusionsbetriebe mit Behindertenwerkstätten konkurrieren
Bei öffentlichen Aufträgen wird Behindertenwerkstätten manchmal ein Bonus gewährt, den Inklusionsbetrieben aber nicht. Ist das rechtens?
Das Wichtigste zur Konkurrenz zwischen Inklusionsbetrieben und Werkstätten in Kürze
- Beide gelten als bevorzugte Bieter nach § 224 SGB IX und sollen leichter öffentliche Aufträge erhalten
- Behindertenwerkstätten können bis zu 15 % Preisbonus bekommen, Inklusionsbetriebe nicht
- Klage auf Gleichbehandlung scheiterte vor Vergabekammer Sachsen und OLG Dresden
- Gerichte: Bonus nur für Werkstätten rechtens, da dort ausschließlich Menschen mit Behinderung arbeiten
- Inklusionsbetriebe haben durch gemischte Belegschaft meist bessere Wirtschaftlichkeit und günstigere Preise
- Fazit: Bevorzugung ja – gleicher Bonus für beide Betriebsarten nicht vorgeschrieben

Im Vergabeverfahren haben Behindertenwerkstätte eine besondere Position inne. Generell werden Sozialunternehmen wie Behindertenwerkstätten und Inklusionsbetriebe im Vergabeverfahren bevorzugt. Ziel dieser Bevorzugung ist es, sie bei der Auftragsgewinnung zu unterstützen. Geht es jedoch um die Angebotspreise, haben Behindertenwerkstätte einen kleinen Vorteil: Ihnen wird ein Bonus von bis zu 15 % auf den Angebotspreis gewährt – Inklusionsbetriebe sind von diesem Vorteil jedoch ausgeschlossen.
Was sind Inklusionsbetriebe?
In Deutschland gibt es etwa 945 Inklusionsbetriebe. Sie beschäftigen neben Mitarbeiter:innen ohne Vermittlungshemmnisse auch Menschen mit einer Schwerbehinderung oder andere Menschen, die nur schwer vermittelt werden können, wie beispielsweise Langzeitarbeitslose. Sie bieten diesen Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben, einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Es gibt Betreuer:innen, die sie bei der Ausübung ihrer Arbeit unterstützen. Häufig sind Inklusionsbetriebe Dienstleistungsunternehmen, beispielsweise in der Gastronomie oder im Garten- und Landschaftsbau.
Natürlich können und wollen Inklusionsbetriebe nicht so wirtschaftlich arbeiten wie andere Betriebe. Hier steht mehr der soziale Gedanke im Vordergrund. Sie wollen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über Vermittlungshemmnisse verfügen, aber nicht vom ersten Arbeitsmarkt separieren. Sie unterstützen sie vielmehr dabei, auf diesem Fuß zu fassen.
Neben Inklusionsbetrieben gibt es auch Behindertenwerkstätten. Hier arbeiten nur Menschen mit einer schweren Behinderung und eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ist nicht vorgesehen. Beide Einrichtungen konkurrieren häufig um dieselben Aufträge.
Rechtliche Grundlagen
Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet und sich dadurch zu einem inklusiven Arbeitsmarkt verpflichtet. Um diesen zu stärken und weiter auszubauen, werden viele öffentliche Aufträge bevorzugt an Inklusionsbetriebe und Behindertenwerkstätten vergeben. Dies ist im Sozialgesetzbuch geregelt. § 224 Absatz 1 Satz 1 und 2 legen fest, dass Inklusionsbetriebe und Behindertenwerkstätten zu den bevorzugten Bieter:innen gehören. Beide sind also gleichgestellt, wenn es darum geht, ob sie einen Auftrag bekommen.
Was ist mit dem Bonus?
Doch wenn ein Auftrag zustande kommt, werden die beiden Betriebsarten unterschiedlich behandelt. Behindertenwerkstätten kann ein Bonus von 15% auf den Angebotspreis bei der Berechnung der Wertungssumme gewährt werden – Inklusionsbetrieben hingegen nicht. Das heißt, dass Erstere bereits bei der Angebotsabgabe mit niedrigen Preisen kalkulieren können und somit eine größere Chance haben, den Auftrag zu ergattern.
Woraus ergibt sich der Bonus?
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat im Jahr 2001 die sogenannte „Bevorzugten-Richtlinie“ erlassen. Sie bietet der öffentlichen Hand die Möglichkeit, Behinderten- oder Blindenwerkstätten einen Bonus von 15% zu gewähren. Sie ist eine verwaltungsinterne Anordnung und hat keine verbindliche Außenwirkung.
Sie gilt nur für die Vergabe von Aufträgen des Bundes, seiner Einrichtungen und seiner Sondervermögen
Der Fall
Die Geschäftsführerin eines Inklusionsbetriebes fühlte sich dadurch benachteiligt. Sie schlug den Rechtsweg ein und forderte, Inklusionsbetriebe und Behindertenwerkstätten künftig gleichzustellen. Sie argumentierte, dass laut § 224 Abs. 2 SGB IX öffentliche Ausschreibungen bevorzugt auch Inklusionsbetrieben anzubieten sind.
Hier der Wortlaut des § 224 SGB IX:
„(1) Aufträge der öffentlichen Hand, die von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen ausgeführt werden können, werden bevorzugt diesen Werkstätten angeboten; zudem können Werkstätten für behinderte Menschen nach Maßgabe der allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach Satz 2 beim Zuschlag und den Zuschlagskriterien bevorzugt werden. Die Bundesregierung erlässt mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Hand.
(2) Absatz 1 gilt auch für Inklusionsbetriebe.“
Ihre Forderung blieb erfolglos: Sowohl die Vergabekammer Sachsen (Beschluss vom 24.07.2020 – 1/SVK/017-20), als auch das OLG Dresden (Beschluss vom 03.09.2020 – Verg. 1/29) wiesen die Klage ab. Einen Anspruch von Inklusionsbetrieben auf den Bonus gäbe es nicht, urteilten die Richterinnen und Richter.
Die Begründungen
Die Vergabekammer Sachsen
Zunächst ist festzuhalten, dass sich aus den Vergabeunterlagen keine Verpflichtung ergibt, auch Inklusionsbetriebe mit einem Bonus von 15 Prozent zu bedenken. In den bekannt gemachten Kriterien wurde der Bonus nur für Werkstätten für behinderte Menschen gewährt, deswegen war bei der Antragstellerin kein Bonus zu berücksichtigen.
Auch aus § 224 SGB IX, auf den sich die Antragstellerin berief, ergibt sich kein solcher Anspruch. Der Paragraph soll es Inklusionsbetrieben und Behindertenwerkstätten leichter machen, sich auf dem Markt zu behaupten, schließlich haben sie einen gesetzlichen Auftrag zur Beschäftigung und Förderung von Menschen mit Behinderung. Diesem können sie nur dann gerecht werden, wenn genügend Aufträge eingehen. Der § 224 SGB IX lässt allerdings offen, auf welche Weise beide Betriebsarten bevorzugt werden. Es ergibt sich daraus auch nicht, dass sie gleich behandelt werden müssen.
Was steckt hinter dem § 224 SGB IX?
Der Paragraph soll die Wettbewerbssituation von Inklusionsbetrieben und Behindertenwerkstätten verbessern, wenn es um öffentliche Aufträge geht. Die öffentliche Hand soll die Vergabekriterien so gestalten, dass dieser Kreis bevorzugt wird. Doch die Einzelheiten bleiben offen. Diese sollen in allgemeinen Verwaltungsvorschriften geregelt werden, die die öffentliche Hand umsetzen soll. Einzelheiten, wie diese Möglichkeiten konkret zu nutzen sind, ergeben sich aus der Norm des § 224 SGB IX allerdings nicht. Vielmehr ist es so, dass die öffentliche Hand allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen kann, um die Zuschlagskriterien festzulegen (§ 224 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Die Zuschlagskriterien müssen aber transparent gemacht und in den Vergabeunterlagen veröffentlicht werden, damit Bieterinnen und Bieter vorab informiert sind.
Deshalb ergibt sich aus 224 SGB IX nicht, dass Inklusionsbetriebe wie Behindertenwerkstätten zu behandeln sind, so die Kammer. Folglich gibt es auch keinen Anspruch auf einen Bonus.
Das OLG Dresden
Das OLG folgt der Argumentation der Vergabekammer und bestätigt die Entscheidung. Es liefert noch eine zusätzliche Erklärung, die die Argumente der Vergabekammer weiter untermauern. Demnach dürfen Behindertenwerkstätten deshalb bevorzugt werden, weil dort ausschließlich behinderte Menschen arbeiten. In Inklusionsbetrieben hingegen sind nur mindestens 30 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behindert. Diese Tatsache würde dazu führen, dass sie bessere Preise anbieten können als Behindertenwerkstätten, so das OLG.
Fazit
Inklusionsbetriebe gehören ebenso wie Behindertenwerkstätten zu den bevorzugten Bieter:innen. Das heißt, sie sind gleichgestellt, wenn es darum geht, ob sie einen Auftrag bekommen. Doch wenn eine der beiden Betriebsarten einen Auftrag bekommen habt, dürfen die Auftraggeber:innen beide unterschiedlich behandeln. Wenn sie Behindertenwerkstätten einen Bonus gewähren, sind sie nicht dazu verpflichtet, dasselbe auch den Inklusionsbetrieben anzubieten. Dadurch haben Behindertenwerkstätten bei der Angebotsabgabe in solchen Fällen einen Vorteil. Allerdings können Inklusionsbetriebe häufig mit niedrigeren Preisen kalkulieren, weil dort neben Menschen mit einer Behinderung auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ohne Einstellungshemmnisse arbeiten.