Beurteilungsspielraum
Von einem Beurteilungsspielraum ist die Rede, wenn die Gesetzgebung der Exekutive bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe einen gewissen Spielraum lässt. Der Beurteilungsspielraum wird auch als "kognitives Ermessen" bezeichnet. In der Regel werden Beurteilungsspielräume nur in Ausnahmefällen zugelassen. In der Rechtsprechung werden Beurteilungsspielräume besonders in folgenden Fällen anerkannt: bei Prüfungsentscheidungen, Beurteilungen von Beomtinnen und Beamten sowie bei Entscheidungen durch Sachverständige. Vom Beurteilungsspielraum zu unterscheiden ist der Ermessensspielraum. Die allgemeine Erklärung zu Beurteilungsspielraum ist für den Bereich der Vergabe noch enger gefasst.
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Beurteilungsspielraum: Definition
In Zusammenhang mit Vergaberecht ist mit Beurteilungsspielraum der Spielraum gemeint, der einem Auftraggeber oder einer Auftraggeberin bei der Interpretation uneindeutiger Begriffe zusteht. Was "fachkundig", "leistungsfähig" oder "zuverlässig" bei einem Unternehmen bedeutet, ist von der Gesetzgebund nicht festgelegt. Auch den Begriff "wirtschaftlichstes Angebot" können Auftraggeber:innen nach ihrem Beurteilungsvermögen interpretieren. Bei Beurteilungsspielräumen geht es nicht darum, eine bestimmte, einzige richtige Lösung zu finden, sondern sich aufgrund eigener Wertung für eine plausible Lösung zu entscheiden. Nachprüfungsinstanzen dürfen ihre Wertung nicht einfach durch die Wertung der Vergabestelle ersetzen.
In welchen Fällen werden Beurteilungsspielräume von der Rechtsprechung häufig anerkannt?
Das Zulassen von Beurteilungsspielräumen setzt das Vorliegen unbestimmter Rechtsbegriffe voraus. Diese kommen häufig in folgenden Fallgruppen vor:
- Entscheidungen, die mit Schulen, Prüfungen und prüfungsähnlichen Sachverhalten zu tun haben,
- Beurteilungen von Beamt:innen durch Dienstherr:innen,
- Entscheidungen eines weisungsunabhängigen Gremiums, wenn die Entscheidung Wertungen umfasst,
- Entscheidungen eines weisungsunabhängigen Gremius, das sachkundig und interessenpluralistisch zusammengesetzt ist (z.B. die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, BPjM,
- Entscheidungen von Gremien, bei denen die Maßstäbe der Kunst, Kultur, Moral oder Religion gelten. Die Entscheidungen werden hier außerhalb der Verwaltungsebene getroffen.
Überprüfung des Beurteilungsspielraums durch Gerichte
Gerichte können beim Vorliegen von Beurteilungsspielräumen nur prüfen, ob Beurteilungsfehler vorliegen. Dazu gehören:
- Eine nachvollziehbare Begründung ist nicht vorhanden. Das Gericht ist jedoch auf die Begründung angewiesen, um Beurteilungsfehler festzustellen.
- Die Verfahrensvorschriften wurden nicht eingehalten.
- Der ermittelte Sachverhalt ist unzutreffend oder unzureichend.
- Die allgemeingültigen Grundsätze der Bewertung wurden missachtet.
- Es liegen sachfremde Erwägungen vor.
Warum existieren unbestimmte Rechtsbegriffe?
In Gesetzestexten verwendete Begriffe sind teilweise sehr unbestimmt und können auch in der Rechtssprache nicht abschließend bestimmt werden. Nicht jeder regelungsbedürftige Sachverhalt ist durch die Gesetzgebung vorhersehbar oder bestimmbar. Daher bestehen viele unbestimmte Rechtsbegriffe, denen die gesetzliche Regelung Spielraum und Flexibilität zugesteht.
Bei unbestimmten Rechtsbegriffen ist im Einzelfall eine Wertung erforderlich, die viele unterschiedliche Faktoren berücksichtigen muss. Unbestimmte Rechtsbegriffe existieren auf Tatbestandsebene und auf Rechtsfolgenseite.
Beispiele für unbestimmte Rechtsbegriffe
Der Rechtsbegriff "öffentliches Interesse" wird häufig in Gesetzen verwendet, bei denen das Gemeinwohl über die Interessen von Individuen gestellt wird. Was genau mit "öffentlichem Interesse" gemeint ist, wird in den Gesetzen nicht konkretisiert.
Der Rechtsbegriff "Kindeswohl" prägt seit über hundert Jahren die Gesetzgebung im Kinderschutzbereich und beschreibt das Wohlergehen und die gesunde Entwicklung eines Kindes. Es gibt jedoch bis heute kein einheitliches Bewertungssystem dazu, was Kindeswohl konkret bedeutet.
Weitere Beispiele für unbestimmte Rechtsbegriffe: "öffentliches Ärgernis", "grob fahrlässig", "arglistige Täuschung".