Egal ob Antibiotika oder Bauwerk: Billig ist bei der Vergabe Trumpf
In der Vergabepraxis ist der Angebotspreis oft das wichtigste Kriterium. Andere Aspekte fallen nicht selten unter den Tisch. Das können Folgekosten sein, aber auch Versorgungssicherheit oder eine umweltfreundliche Produktion.
Das Wichtigste zum Preisfokus bei Vergaben in Kürze
- Öffentliche Ausschreibungen orientieren sich meist am niedrigsten Preis – oft auf Kosten von Qualität, Umwelt und Versorgungssicherheit
- Beispiel AOK: Antibiotika-Ausschreibung mit Kriterien für Umweltschutz & Versorgungssicherheit – von Gerichten gekippt wegen Benachteiligung von Produzenten in Drittländern
- Problem: Billigvergabe kann langfristig teurer werden – Lieferengpässe bei Medikamenten oder minderwertige Bauwerke sind die Folge
- Bauprojekte leiden unter Sparzwang: neue Straßen oder Gebäude werden schnell wieder sanierungsbedürftig
- Vergaberecht erlaubt zwar Kriterien wie Qualität, Nachhaltigkeit und soziale Aspekte – diese werden jedoch selten konsequent genutzt
- Fazit: Auftraggeber müssten aktiver Vorgaben setzen, um Preisdominanz aufzubrechen und nachhaltige Ergebnisse zu erzielen

Bei den meisten Ausschreibungen geht es darum, das günstige Angebot zu finden. Das ist auf der einen Seite verständlich, denn schließlich sollen ja gerade öffentliche Gelder sinnvoll und sparsam eingesetzt werden. Doch nicht immer ist Sparsamkeit Trumpf. Wenn bei Herstellungsprozessen die Umwelt verschmutzt wird, sollte da der Preis das ausschlaggebende Kriterium sein? Oder was ist, wenn die langfristige Versorgung, zum Beispiel mit Medikamenten, nicht gesichert werden kann?
Antibiotika-Rückstände werden in Kauf genommen
Diese Fragen stellte sich auch die AOK und startete im September 2020 eine etwas ungewöhnliche Ausschreibung. Unter der Bezeichnung „Z1“ wurden fünf Antibiotikawirkstoffe gesondert ausgeschrieben und neben dem Preis wurden qualitative Kriterien der Versorgungssicherheit und des Umweltschutzes mit einbezogen. Bevorzugt wurden unter anderem Unternehmen, die an ihren jeweiligen Standorten verantwortungsvoll mit Fabrikationsabwässern umgehen. Vor dem Hintergrund, dass sich im Trinkwasser oft Antibiotika-Rückstände finden lassen und so die Bevölkerung zunehmend resistent gegenüber Antibiotika wird, ist das ein nachvollziehbares Kriterium. Schließlich wollen wir alle, dass Antibiotika auch in Zukunft wirksam bleiben.
Neben dem Vermeiden von Resistenzen geht es der AOK auch darum, langfristig die Versorgung mit Medikamenten – in diesem Fall mit Antibiotika – zu sichern. Derzeit werden viele Medikamente in Fernost produziert, und die Turbulenzen in den Lieferketten der letzten Zeit führten nicht selten zu Lieferengpässen. Dadurch wurde deutlich, wie groß die internationalen Abhängigkeiten sind. Das ist gerade bei Medikamenten nicht akzeptabel und kann starke Auswirkungen auf die Gesundheit jedes Einzelnen haben – und im Fall von Antibiotika sogar tödlich enden. Doch nicht alle Arzneimittelhersteller folgen dieser Argumentation. Gleich mehrere von ihnen strengten ein Nachprüfungsverfahren an und bekamen vor den Vergabekammern und vor dem OLG Düsseldorf recht. Die Begründung: Durch die höheren Anforderungen an die Lieferketten werden die Bieterinnen und Bieter benachteiligt, die in Drittländern wie Indien oder China produzieren. Das sei unvereinbar mit dem Vergaberecht.
Vor dem Hintergrund, dass sich auch Politikerinnen und Politiker mehrerer Parteien für Versorgungssicherheit und den Schutz von Gesundheit ausgesprochen haben, kann die AOK den Urteilsspruch nicht nachvollziehen und geht daher in die nächste Instanz.
Auch beim Bauen ist billig die Devise
Auf den ersten Blick haben Antibiotika und marode Bauten nicht viel gemeinsam, doch bei beiden gewinnen meist die Unternehmen den Auftrag, die den günstigsten Preis bieten können. Das gleiche Prinzip also. Doch ebenso wie in der Medizin ist auch auf dem Bau dies nicht immer der wirtschaftlichste und nachhaltigste Preis. Seien es Straßen, Brücken oder öffentliche Gebäude: So manches öffentliche Bauprojekt leidet darunter, dass Sparsamkeit im Vergaberecht oberste Priorität hat. Wer beim Bauen spart, muss damit rechnen, dass die gerade fertiggestellte Infrastruktur und die neuen Bauwerke schon nach kurzer Zeit ein Sanierungsfall sind. Da sacken Straßen ab, der Putz bröckelt von brandneuen Fassaden oder Betonmauern sind nach wenigen Jahren von Rissen durchzogen. Für die Menschen bringt das alles natürlich weitere Einschränkungen im Alltag mit sich, wenn sie etwa auf dem Weg zur Arbeit länger im Stau stehen, weil eine eigentlich sanierte Straße nach kurzer Zeit bereits wieder saniert werden muss.
Ist das Vergaberecht schuld?
Doch warum ist das so? Haben Auftraggebende gar keine andere Wahl, als immer nach dem günstigsten Angebot zu schauen? Bei der oben genannten Antibiotika-Vergabe scheint das tatsächlich so zu sein – doch der Fall ist ja noch nicht abschließend geklärt. Grundsätzlich aber eröffnet das deutsche Vergaberecht den Vergabestellen durchaus Möglichkeiten, neben dem Angebotspreis auch auf weitere Kriterien zu setzen. Sie können in den Ausschreibungen auch Forderungen hinsichtlich Qualität und Nachhaltigkeit stellen, und auch soziale Aspekte können in den Vordergrund rücken. Hat ein Unternehmen in der Vergangenheit die Sozialabgaben für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht gezahlt? Oder hat es bestimmte Qualitätszertifizierungen nicht geschafft? Dann kann es von der Vergabe ausgeschlossen werden. Voraussetzung ist aber, dass Auftraggebende aktiv werden und sinnvolle Kriterien festlegen. Doch bisher scheint für viele noch der Angebotspreis das Wichtigste zu sein.