Leise rieselt der Putz: Sanierungsstau an deutschen Schulen

Erstveröffentlichung: 11.08.2022 14:27 |

Bröckelnder Putz, undichte Fenster und unzumutbare Toiletten: Der Zustand vieler Schulen ist alarmierend. Viele Schüler:innen müssen ihren Schulalltag in maroden Klassenzimmern meistern.

Das Wichtigste zum Sanierungsstau an deutschen Schulen in Kürze

  • Sanierungsstau an Schulen massiv: Investitionsrückstand ca. 50 Mrd. €, besonders in Ballungsräumen
  • Lage regional gemischt: einige Kommunen sanieren, viele verschieben mangels Budget
  • Hauptbremsen: lange Planungs- und Genehmigungswege, zusätzliche Auflagen, Rechtsstreitigkeiten – plus Fachkräftemangel und unattraktive, bürokratische Vergaben
  • Kosten- und Lieferprobleme (Material, Energie) treiben Projekte weiter hoch; marode Zustände beeinträchtigen Sicherheit, Klima, Hygiene und Lernqualität
  • Folge: marode Bauten bis hin zu Sicherheitsrisiken, Unterrichtsqualität leidet (Akustik, Klima, Hygiene)
  • Hebel für Tempo: Priorisierung und mehr Mittel auf Landes/Kommunalebene, Entbürokratisierung der Vergabe, Fachkräfteoffensive, realistische Zeitfenster
  • Planungsboost durch BIM: digitales Gebäudemodell bündelt Daten, erkennt Konflikte früh, reduziert Nachträge und Verzögerungen
Marode Klassenzimmer mit veralteter Ausstattung wegen Sanierungsstau an Schulen © one / adobe.stock.com

Setzen wir uns mal in ein Klassenzimmer, wie es an deutschen Schulen immer wieder vorkommt: Der Putz bröckelt von den Wänden, darunter vereinzelt schwarz-gräuliche Stellen – Schimmel. Da die Fenster nicht mehr richtig schließen, zieht es ordentlich – Rund um die Uhr, selbst im Winter bei Minustemperaturen. Oder die Fenster lassen sich nicht mehr öffnen, so dass frische Luft zum Luxusgut wird. Einfach mal durchlüften geht dann nicht. Drüben im Lehrerzimmer zeigt sich in der Regel dasselbe Bild. Im hessischen Viernheim ist den Lehrer:innen im Frühjahr 2021 sogar fast das Dach auf den Kopf gefallen. Eine abgehängte Zwischendecke hatte sich gelöst und war auf die Pulte geknallt. Reines Glück, dass das nachts passiert ist und somit niemand zu Schaden kam. Natürlich beschränken sich die Probleme nicht auf die Klassenräume und Lehrerzimmer. In der Pause kurz mal auf die Toilette gehen? Lieber nicht, denn das ist keine schöne Angelegenheit. Verkrustete Wasserhähne, kaputte Fliesen sowie veraltete und stinkende Abflüsse – viele Schultoiletten sind in einem miserablen Zustand. Natürlich sieht es nicht an jeder Schule so aus, aber an vielen schon. Zahlreiche Pädagog:innen, Ingenieur:innen und Architekt:innen arbeiten deshalb Hand in Hand mit dem Schulpersonal, um ein zukunftsfähiges Konzept für die Kommunen zu erarbeiten.

Fehlende Investitionen in Milliardenhöhe

Der Sanierungsstau hat mittlerweile schwerwiegende Ausmaße angenommen. Laut Angaben von Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, herrscht derzeit ein Investitionsrückstand von 50 Milliarden Euro. Besonders betroffen seien die zahlreichen Großstädte in den Ballungsräumen. Doch wo ist der Ursprung dieser fatalen Situation? Schuld daran sei insbesondere die Politik, so Stefan Düll. Der Fokus läge zu sehr auf der Sanierung von Straßen und Brücken - das ist auch keineswegs unwichtig. Trotzdem müssen Sanierungen an Schulgebäuden mehr Aufmerksamkeit bekommen. Hinzu kommt auch der energetische Umbau. Es sind nicht nur die Grundrisse an den Schulen, die eine Erneuerung benötigen. Eine sorgfältige Isolierung oder neue Heizungen und Wärmepumpen sind in den meisten Fällen dringend nötig. Doch wer soll das bezahlen? Stefan Düll erklärt, das Geld sei nicht beim Bund, sondern den Kommunen und Gemeinden direkt anzufragen. Man erspare sich viel Aufwand, wenn die finanziellen Mittel nicht zuvor mit der Steuer an den Bund gezahlt und anschließend wieder zurückgefordert werden müssen. Der Blick in die Zukunft sieht für viele Kommunen jedoch nicht sonderlich positiv aus. Eine Umfrage der KfW von 2022 hat gezeigt, dass rund 25 Prozent der Kommunen von einer Steigerung des Investitionsrückstandes ausgehen.

Lernende Kinder in maroden Schulen © Kzenon / stock.adobe.com

Manche Länder sparen, andere sanieren

Je nach Region ist die Situation unterschiedlich. Das nordrhein-westfälische Münster sanierte während der Sommerferien 2022 dreißig Schulen. Die Stadt investierte insgesamt 6 Millionen Euro in die Instandsetzung der Schulen in Münster. Auch Brandenburg „investiert in die Zukunft“, so äußerte sich die brandenburgische Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Das Land Brandenburg nimmt über 70 Millionen Euro in die Hand, um Schulgebäude und Sporthallen zu sanieren.
In vielen Städten und Gemeinden fehlt jedoch für Sanierungen das Geld. In Zeiten knapper Kassen wird daran gerne gespart. In Hessen, Thüringen und in Teilen Nordrhein-Westfalens ist das der Fall. In Thüringen etwa liegt der Sanierungsbedarf im Milliardenbereich. Das Thüringer Infrastrukturministeriums hat diesbezüglich bei den Schulträgern nachgefragt: Es sind mehr als 1,5 Milliarden Euro nötig, sagte eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage. Allerdings hätten nur 23 von 33 Schulträgern im Freistaat geantwortet, so dass der tatsächliche Investitionsbedarf noch höher liegen wird. Auch in der Theobald-Ziegler Grundschule in Frankfurt ist die Situation fatal. Fenster lassen sich nicht öffnen oder drohen dabei aus dem Rahmen zu fallen. Auch der letzte Anstrich ist bereits über 30 Jahre her. Hinzu kommt, dass Kinder durch die schlechte Raumakustik Konzentrationsprobleme haben und teilweise nur mit Kopfhörern arbeiten können.

Berlin: Sanierungen müssen warten

In Berlin wurden 2022 zahlreiche Schulsanierungen verschoben. Nun soll sich das jedoch ändern. Grundlage hierfür ist der von Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) vorgelegte Entwurf für das sogenannte Investitionsprogramm für den Zeitraum von 2022 bis 2026, der im September 2022 endgültig bestätigt wurde. Demnach sind bis 2026 Investitionen in Höhe von 17 Milliarden Euro vorgesehen. Der Senat hat sich als Ziel eine Investitionsquote von acht Prozent gesetzt. Für die nächsten Jahre sind somit schon wesentlich mehr Investitionen geplant als in der Vergangenheit. Dennoch muss die finanzielle Handlungsfähigkeit der Stadt stets berücksichtigt werden, so Wesener. Dafür sollen klare Prioritäten gesetzt werden. Vorhaben mit niedrigerer Priorität, die außerhalb des finanziellen Rahmens liegen, sollen auf die nächsten Jahre verschoben werden. Sanierungsarbeiten an Schulen sollen dabei, laut Franziska Giffey, Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe (SPD), allerdings einen höheren Stellenwert bekommen. 2025 sind Investitionen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro für die Sanierung von Schulgebäuden vorgesehen. Ob damit jedoch alle nötigen Investitionsmaßnahmen abgedeckt werden können, bleibt fragwürdig. Dabei besteht akuter Handlungsbedarf. Die größte Grundschule Berlins ist so ein Fall. Die Wedding-Schule gilt als einziger Schadensfall. Überall im Gebäude finden sich Schimmel, Wasserschäden, fehlende Deckenplatten sowie bröckelnder Putz.
Manchmal werden marode Gebäude zu einer Gefahr für Schüler:innen und Lehrer:innen, wie die eingestürzte Decke im Lehrerzimmer in Viernheim zeigt. Auch in einer Grundschule in Mönchengladbach stürzte bereits eine Decke ein, hier fiel ebenfalls eine abgehängte Zwischendecke herunter. Zum Glück befand sich zu dem Zeitpunkt niemand im Klassenraum.

Warum dauert das Sanieren so lange?

Zum einen sind die Planungsvorläufe länger geworden. Das liegt an den strengeren Bundes- und Landesgesetzen, beispielsweise zur Energieeinsparung. Auch Rechtsstreitigkeiten haben zugenommen. Mancherorts, wie beim Stuttgarter Musikgymnasium Ebelu, klagen Anwohner gegen geplante Ausbaumaßnahmen, da sie eine erhöhte Lärmbelästigung fürchten. Diese gerichtlichen Auseinandersetzungen kosten leider viel Zeit und führen zu Verzögerungen. Oft ist es auch so, dass zum ursprünglichen Sanierungsprogramm immer wieder neue notwendige Maßnahmen und Schadensfälle hinzukommen. Nicht selten rutschen Schulen von einer Teil- in eine Generalsanierung. Dies kann auch mit den Anforderungen zusammenhängen, welche die Digitalisierung mit sich bringt. An nicht wenigen Schulen fehlen die technischen Voraussetzungen, um die Digitalisierung umzusetzen. In manchen Fällen stammt die Elektrik noch aus den 1960er Jahren, wie an dem Schadowgymnasium in Berlin-Zehlendorf. Daher gibt es nur einen Computerraum für 1.150 Schüler:innen. Mehr geht nicht: Jedes weitere elektrische Gerät ließe die gesamte Stromversorgung zusammenbrechen. Dabei wäre genug Geld für Laptops vorhanden, so Schulleiter Andreas Krenz. Fakt ist, dass Probleme wie Stromversorgungsnetze ohne Schutzleiter, lückenhafte Netzwerkkabel-Strukturen oder unzureichende LAN-Leitungen vorab angegangen werden müssen. Erst dann kann man sich auf die Digitalisierung konzentrieren.

Scheuen Handwerker öffentliche Aufträge?

Nicht selten fehlen für öffentliche Aufträge Handwerker. Das liegt zum einen daran, dass ihre Auftragsbücher ohnehin schon voll sind. Zum anderen haben sie auch mit Fachkräftemangel zu kämpfen. Hinzu kommt, dass Schulen oft während der Sommerferien saniert werden sollen, damit der Schulbetrieb so wenig wie möglich beeinträchtigt wird. Doch gerade in den Ferienzeiten sind viele Handwerker:innen selbst im Urlaub, so dass in dem Zeitraum keine zusätzlichen Aufträge angenommen werden können. Leider hindert auch der bürokratische Aufwand viele Betriebe daran, sich um öffentliche Aufträge zu bemühen. Wolfgang Borgert, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer OWL, sieht die Bürokratie als riesige Hemmschwelle. Der hohe Aufwand, den die Vergabeverfahren mit sich bringen, schrecke viele Betriebe ab, sodass private Aufträge attraktiver werden. Auftraggeber:innen verlangen meist mehrere Bedingungen, wenn es um die Ausführung eines Auftrages geht. Außerdem ist es bei öffentlichen Ausschreibungen gar nicht sicher, ob der Handwerksbetrieb den Auftrag überhaupt erhält. Kassiert der Betrieb häufiger Absagen, fehlt die Motivation, sich auf weitere Ausschreibungen zu bewerben.

Zu wenig Handwerker und zu wenig Material, um die Sanierungen an Schulen zu bewerkstelligen © Kuzmaphoto / stock.adobe.com

Es fehlen Handwerker:innen und Material

Manchmal findet sich schlichtweg kein:e Handwerker:in. Die Stadt Waldenbuch im Landkreis Böblingen etwa konnte eine in die Jahre gekommene Schule nicht sanieren, weil sich für die einzelnen Gewerke entweder keine Anbieter:innen fanden oder aber nur solche, die völlig überzogenen Preise forderten. So bleibt die Schule vorerst in ihrem jetzigen Zustand – inklusive marodem Dach. Noch ist es dicht, aber keiner weiß wie lange noch.

Neben dem Fachkräftemangel gefährden auch Lieferengpässe die Sanierungsarbeiten an Schulen. Insbesondere die aktuelle Energiekrise hat die Situation zusätzlich verschärft. Die Preissteigerungen bei Strom und Material sind teilweise extrem. Vor allem die Baumaterialien, für deren Herstellung viel Energie benötigt wird, verteuern sich massiv. Dadurch werden dann auch Schulsanierungen noch kostspieliger. In manchen Fällen reicht deshalb das Budget nicht mehr, um wirklich alle notwendigen Sanierungen durchzuführen.

Digitale Planung: ein möglicher Erfolgsfaktor?

Eins ist klar: Sanierungen bedeuten Aufwand. Selbstverständlich handelt es sich dabei um einen Aufwand, der notwendig ist und langfristig zu erheblichen Mehrwerten führt. Expertinnen und Experten forschen deshalb nach möglichen Alternativen, mit denen die Planung effektiver gestaltet werden kann. Ein Vorschlag dabei ist Building Information Modeling (BIM).Mit dieser Technologie erschafft man ein dreidimensionales Modell, das identisch zu dem geplanten Schulgebäude ist. Innerhalb dieses Plans lassen sich alle relevanten Daten bezüglich des Modells bündeln und Kosten, Maße oder auch die Lebensdauer des Materials genau abspeichern. Das erhöht selbstverständlich auch die Flexibilität. Alle Beteiligten haben Zugriff auf die Daten und können Einzelheiten der Planung verschieben oder verändern, wenn sie zu neuen Erkenntnissen gekommen sind. Auf den ersten Blick mag die Erstellung dieses Modells aufwändig erscheinen, doch langfristig ergeben sich dadurch enorme Vorteile. Fehler werden frühzeitig sichtbar und ermöglichen eine vorausschauende Planung. Nach Abschluss der Planung können alle Informationen digital an die betroffenen Personen weitergeleitet und kommuniziert werden.

Fazit: Ein Sanierungsplan muss her!

Pädagog:innen und Lehrkräfte an deutschen Schulen klagen schon lange über die aktuelle Situation in den Schulgebäuden. Investitionsdefizite in Höhe von knapp 50 Milliarden Euro müssen nun auch die Politik wachrütteln. Laut Aussagen der KfW sehen mittlerweile 17 Prozent der Kommunen die Lage als gravierend an. Ein sorgfältiger Plan muss her, der die finanziellen Mittel bereitstellt und von den Ländern auf lange Sicht angepasst wird. Die Gefahr für Lehrende und Schüler:innen in einigen Schulgebäuden ist mittlerweile zu hoch, um die Thematik weiter vor sich herschieben. Hinzu kommt, dass die Bildung junger Menschen für die Wirtschaft in Zukunft von immer größerer Bedeutung sein wird. Aus diesem Grund arbeiten Expert:innen an Plänen, wie dem BIM, mit denen die Sanierungsmaßnahmen langfristig umgesetzt werden können.

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Lorena Lawniczak - Redakteurin bei der ibau GmbH
Lorena Lawniczak

Während ihrer Tätigkeit als Redakteurin bei ibau hat sich Lorena Lawniczak um die Erstellung von qualitativem Content für unsere Leser:innen gekümmert. Sie beschäftigte sich speziell mit Themen zur Leadgenerierung und Sales und verfasste hilfreiche Ratgeber für Unternehmen. Neben diesen Themen setzte sie sich intensiv mit dem Vergaberecht auseinander und schrieb Glossarartikel zu Begriffen rund um Ausschreibungen und Vergaben. Durch ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre hat sie außerdem großes Interesse an digitalen Bereichen, wie dem Online-Marketing und konnte dieses Wissen vielfältig in ihre Texte einfließen lassen.