Das Handwerk und der Nachwuchsmangel – Was ist zu tun?
Die Luft im Handwerk wird dünner: Die Zahl der Auszubildenden geht zurück, Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt und immer mehr Handwerker:innen gehen in Rente. Eine prekäre Situation, sowohl für das Fachwissen als auch für die Handwerksbetriebe.
Das Wichtigste zum Nachwuchsmangel im Handwerk in Kürze
- Über 150.000 unbesetzte Stellen; im April 2023 blieben ~40.000 Ausbildungsplätze offen – besonders SHK, Elektro, Bau betroffen
- Ursachen-Mix: Demografie (weniger Schulabgänger:innen), Imageverlust, vermeintlich geringe Gehälter, wenig Flexibilität/Homeoffice
- Folgen: Auftragsstaus, gefährdete Betriebe – und Verzögerungen bei Klimaschutz- und Wohnungsbauprojekten
- Perspektive: Entspannung unwahrscheinlich – Babyboomer-Ruhestand verschärft Engpässe in den nächsten Jahren
- Was Betriebe tun sollten: aktiv werben (Schulen/Social), Arbeitsbedingungen flexibilisieren, Frauen gezielt ansprechen, Gehalts- & Karrierechancen sowie Benefits klar kommunizieren
- Politische Hebel: Bürokratie abbauen, Abgaben/Steuern senken, um Ausbildung und Fachkräftegewinnung zu erleichtern

Seit geraumer Zeit tun sich Handwerksbetriebe damit schwer, offene Stellen zu besetzen. Laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) gibt es in Deutschland mehr als 150.000 nicht besetzte Stellen im Handwerk, bei den Auszubildenden sieht es ähnlich düster aus. Die Handwerkskammern sprechen mit Blick auf die aktuellen Zahlen von einem regelrechten Nachwuchsmangel im Handwerk – immer weniger junge Menschen entscheiden sich für eine Ausbildung in einem Handwerksberuf. So seien im April 2023 noch 40.000 Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben, berichtete das ZDF. Am stärksten betroffen vom Azubimangel im Handwerk sind die Bereiche Heizung-Sanitär-Klima, Elektroinstallation und das Bauhandwerk. Diese alarmierenden Zahlen entsprechen einem Trend, der sich schon seit Jahren anbahnt: Das Handwerk hat ein Nachwuchsproblem. Manche Betriebe mussten bereits schließen, da Bewerbungen ausbleiben. Diese Entwicklung wird weiter zunehmen und das Handwerk belasten.
Inhaltsverzeichnis
- Probleme bei der Nachwuchssuche für Handwerksberufe
- Handwerksberufe: Ist der vielzitierte goldene Boden weggebrochen?
- Die Konsequenzen: Kein Klimaschutz, kein Wohnraum ohne Fachkräfte
- Die Aussichten? Trübe!
- Wer ist schuld am Nachwuchsmangel im Handwerk?
- Deshalb meiden Azubis Handwerksberufe
- Das sollten Handwerksbetriebe gegen den Azubimangel tun
- Fazit: Aktiv um Lehrlinge werben
Probleme bei der Nachwuchssuche für Handwerksberufe
Der Nachwuchsmangel im Handwerk erstreckt sich über alle Handwerksberufe und Baufachberufe. So wurden im Jahr 2011 noch 19.000 Ausbildungsverträge abgeschlossen. Zehn Jahre später waren es laut dem staatlichen Vertretungsgremiums der Handwerkskammern nur noch 15.500 Verträge. Der Azubimangel im Handwerk variiert aber je nach Branche. Besonders viele freie Ausbildungsplätze gibt es laut der Tagesschau im Bereich Sanitär, Heizung und Klimatechnik.
Handwerksberufe: Ist der vielzitierte goldene Boden weggebrochen?
Doch der Geburtenrückgang allein erklärt den Azubimangel noch nicht. Laut einer Studie des Marktforschers Ipsos interessieren sich junge Deutsche deutlich weniger für das Handwerk als etwa junge Franzosen, Briten oder Brasilianer:innen. Das hat auch viel damit zu tun, dass Handwerksberufe bei einem Großteil der deutschen Gesellschaft nicht so angesehen sind, wie sie es angesichts seiner Bedeutung für die Gesellschaft sein sollten. In der Studie belegte Deutschland den letzten Platz im internationalen Vergleich bei der Frage, wie hoch die Befragten Handwerker:innen ansehen. Der lange geltende Leitgedanke “Das Handwerk hat goldenen Boden” scheint nicht mehr zu gelten – und lockt auch keine Lehrlinge mehr an. Laut einer vom ZDH in Auftrag gegebenen Studie stimmten nur sieben Prozent der Befragten diesem Gedanken noch zu.
Die Konsequenzen: Kein Klimaschutz, kein Wohnraum ohne Fachkräfte
Der Fachkräftemangel bringt die Handwerksbetriebe immer mehr in Bedrängnis. So kommt es immer häufiger vor, dass Kund:innen auf später vertröstet werden müssen und Neukund:innen abgewiesen werden müssen. Im schlimmsten Fall kann dies für einen Handwerksbetrieb zu wirtschaftlichen Problemen führen und sogar existenzgefährdend sein. Hinzu kommt: Wenn das Handwerk leidet, bleiben gesellschaftlich wichtige Vorhaben wie der Schutz des Klimas oder das Schaffen von bezahlbarem Wohnraum auf der Strecke. Leider sind vom Azubimangel auch klimarelevante Branchen betroffen, wie der Heizungsbau und die Klimatechnik. Gerade im Hinblick auf die vielen Anpassungen, die im Rahmen des neuen Heizungsgesetzes vorgenommen werden müssen, kann dies zu einem wahren Auftragsstau führen.
Die Aussichten? Trübe!
Die Chancen, dass sich die Lage im Handwerk in den nächsten Jahren von selbst bessert und der Fachkräftemangel im Handwerk zurückgeht, sind gering. Es wird eher noch schwieriger werden, befürchtet der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Die Gründe sind naheliegend: In den nächsten Jahren werden die sogenannten Babyboomer nach und nach in den Ruhestand gehen. Gleichzeitig wird die Suche nach Lehrlingen eine Herausforderung bleiben. Die Gründe dafür, dass sich zu wenig junge Menschen für das Handwerk interessieren, sind hauptsächlich:
- der Verlust vom Ansehen des Handwerks in der Gesellschaft
- unflexible Arbeitszeiten, keine Gleitzeit, kein Homeoffice
- der Irrglaube, dass Handwerker:innen wenig verdienen
Wer ist schuld am Nachwuchsmangel im Handwerk?
Diese Problematik und der damit verbundene Rückgang an Auszubildenden in Handwerksberufen und Baufachberufen lässt sich auf verschiedene Ursachen zurückführen. Zum einen ist der Mangel auch darin begründet, dass es immer weniger Schulabgänger:innen gibt. Es liegt auf der Hand, dass eine sinkende Anzahl an Schüler:innen auch zu einer sinkenden Anzahl an Auszubildenden führt. Während es im Jahr 2006 noch 1.133.900 Schulabsolvent:innen gab, waren es im Jahr 2021 nur noch 933.500. Dies ist ein Rückgang um mehr als 17 Prozent. Doch der Geburtenrückgang ist nicht der einzige Grund dafür, dass immer weniger Schulabsolvent:innen den Weg ins Handwerk finden.
Deshalb meiden Azubis Handwerksberufe
Doch was stört die jungen Deutschen über das Image hinaus eigentlich noch am Handwerk? In der Ipsos-Studie wurden als erstes die Gehaltschancen genannt. 51 Prozent der Befragten glaubten, dass sie mit einer handwerklichen Ausbildung schlechter verdienen als in einem akademischen Beruf. Auch die vermeintlich schlechten Karrieremöglichkeiten wurden als Hinderungsgrund genannt, sowie die fehlende Flexibilität, beispielsweise bei den Arbeitszeiten oder die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten.
Gleichzeitig darf man auch nicht vergessen, dass Handwerksberufe körperlich anstrengend sein können und dass diese Tatsache manche abschreckt. Viele denken dann, dass eine Bürotätigkeit weniger anstrengend ist – und vergessen die Monotonie, die mit Bürojobs einhergehen kann.
Das sollten Handwerksbetriebe gegen den Azubimangel tun
Auch wenn die Suche nach einem Lehrling wie die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen anmuten mag, können Handwerksbetriebe einiges tun, um die Lage zu verbessern und dem Nachwuchsmangel im Handwerk entgegenzuwirken. Es gilt, aktiv zu werden und gezielt um Auszubildende zu werben. Zunächst ist es wichtig, die Probleme und Herausforderungen zu analysieren und neue Lösungsvorschläge zu entwickeln, um junge Menschen für Handwerksberufe zu begeistern.
Schritt 1: Zeigen Sie, was im Handwerk alles geht
Zum anderen sollten Handwerksbetriebe verstärkt auf Werbung setzen. Dadurch können sie die Präsenz und das Ansehen des Handwerks wieder nachhaltig steigern. Hierzu zählen auch Vorträge in Schulen. Gehen Sie dorthin, wo junge Leute zusammenkommen! Thematisieren Sie die Vorteile einer Ausbildung im Handwerk, etwa das sofortige Gehalt, die freien Stellen oder die guten Zukunftsaussichten. Den Bewerber:innen sollte auch kommuniziert werden, dass die meisten handwerklichen Berufe mittlerweile nicht mehr zwangsläufig mit harter körperlicher Arbeit zu tun haben. Auch hier werden viele Aufgaben inzwischen von Maschinen übernommen.
Schritt 2: Da sein, wo sich die Azubis von morgen tummeln
Zusätzlich sollten Betriebe über Social Media Interessent:innen und weitere mögliche Bewerber:innen anwerben. Viele Betriebe, wie zum Beispiel Brillux, Bosch und Knauf, setzen bereits auf Instagram und zum Teil auch auf TikTok. Damit überzeugen diese Unternehmen vor allem junge Leute, sich für eine Ausbildung zu entscheiden und haben gleichzeitig die Möglichkeit, ihr Unternehmen zu bewerben. Social Media bieten auch eine ideale Plattform, um auf die Vorteile einer Ausbildung im Vergleich zum Studium hinzuweisen.
Schritt 3: Die Erwartungen junger Menschen ernst nehmen
Die junge Generation möchte Arbeitsbedingungen, die sich an das eigene Leben anpassen, anstatt das eigene Leben an die Arbeit anzupassen. Bieten Sie nach Möglichkeit flexible Arbeitszeiten, Gleitzeit oder Homeoffice an. Dadurch werden Handwerksberufe potenziell interessanter. Natürlich sind die Gegebenheiten in jedem Handwerksbetrieb anders und es lassen sich nicht alle Maßnahmen überall umsetzen. Aber überlegen Sie gerne, was davon möglich ist. Natürlich können Sie auch gezielt bei potentiellen Bewerber:innen nachfragen, was ihnen wichtig ist und ihre Ideen umsetzen, wenn es in ihren Betriebsablauf passt.
Schritt 4: Frauen integrieren
Auf eine naheliegende Lösung gegen den Nachwuchsmangel im Handwerk sind bisher weder die Handwerksbetriebe noch die Baufirmen gekommen: Frauen in Handwerksberufe zu holen. Leider ist die Baubranche traurige Rekordhalterin, was die Repräsentation von Frauen betrifft – nirgends trifft man weniger Frauen als auf einer Baustelle. Sie machen dort gerade einmal drei Prozent der Beschäftigten aus, stellte der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie fest. Ein häufiges Argument ist hierbei die körperliche Anstrengung, die mit handwerklichen Berufen verbunden ist. Dabei gibt es mittlerweile technische Hilfsmittel, so dass nicht nur “starke Männer” auf dem Bau etwas bewegen können. Für das Steuern von Baumaschinen ist sowieso eher Feingefühl nötig als Muskelkraft. In der Edelmetallbranche beweisen Frauen bereits, dass sie mit großen Baumaschinen umgehen können. In Panama beispielsweise navigieren Frauen große und tonnenschwere Maschinen wie Muldenkipper durch schwieriges Terrain. Das machen sie so gut, dass sie ihr Wissen sogar als Ausbilderinnen weitergeben.
Schritt 4: Auf das solide Einkommen hinweisen
Viele potentielle Lehrlinge lehnen Handwerksberufe auch deshalb ab, weil sie glauben, dass Handwerker:innen eher wenig verdienen. Doch das stimmt so nicht. Tatsächlich verdient eine Handwerksmeisterin oder ein Handwerksmeister ähnlich viel wie ein:e Akademiker:in, manchmal sogar mehr. Weisen Sie also auf diese nicht ganz unwichtige Tatsache hin.
Interessant für potenzielle Lehrlinge dürfte auch sein, dass sie bereits bei Ausbildungsbeginn über eine solide finanzielle Grundlage verfügen können. Weisen Sie darauf hin, dass das Azubigehalt in den meisten Fällen über dem Bafög-Höchstsatz liegt. Laut der Tagesschau wurden 37,9 Prozent der Studierenden als armutsgefährdet eingestuft. Diese Schätzung liegt 22,1 Prozent über dem Schnitt der Gesamtbevölkerung Deutschlands. Auszubildende sind im Vergleich unabhängiger und durch das Gehalt abgesichert.
Schritt 5: Benefits anbieten
Handwerksbetriebe können auch gezielt Benefits anbieten. Gerade junge Menschen stehen vor der Aufgabe, sich etwas aufzubauen und nach und nach unabhängiger vom Elternhaus zu werden. Arbeitgebende können Sie dabei unterstützen, endlich auf eigenen Füßen zu stehen. Dies können gezielte Fort- und Weiterbildungen sein, damit sich die Auszubildenden ein breites Wissen aufbauen können. Sie können Ihren Auszubildenden auch dabei helfen, mobil zu sein: Zahlen Sie einen Fahrtkostenzuschuss oder eine Beteiligung am Führerschein.
Schritt 6: Auf die Relevanz von Handwerksberufen hinweisen
Viele junge Menschen interessieren sich nicht nur für das eigene Fortkommen, sondern auch für gesellschaftliches Engagement wie den Klimaschutz. Weisen Sie darauf hin, dass gerade das Handwerk viele klimarelevante Berufe bietet. Handwerker:innen können ganz vorne mit dabei sein, wenn es darum geht, die Zukunft klimagerechter zu gestalten – und das ganz ohne sich auf eine Straße festkleben zu müssen und mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
Forderungen des Handwerks an die Regierung
Natürlich ist es gut, wenn die Handwerksbetriebe selbst aktiv werden und sich um den Nachwuchs im Handwerk bemühen. Doch angesichts der Wichtigkeit von Handwerksberufen sollten nicht nur die Betriebe gefragt sein, sondern auch die Regierung. Das Handwerk fordert schon seit längerem Unterstützung beim Umgang mit dem Fachkräftemangel. Dabei geht es hauptsächlich darum, bürokratische Hürden abzubauen. Gleichzeitig müssen Abgaben und Steuern gesenkt werden, um die Handwerksbetriebe zu unterstützen und ihren Fortbestand zu gewährleisten.
Fazit: Aktiv um Lehrlinge werben
Das Handwerk braucht einen Imagewechsel, um junge Leute anzulocken. Dafür müssen Betriebe aktiv auf die Suche gehen und deutlich die Vorteile kommunizieren. Wichtig ist es auch, die Arbeitsverhältnisse zu verbessern: Lohnsteigerung, angepasste Arbeitsgestaltung, um zum Beispiel mit weniger körperlich belastenden Berufen konkurrieren zu können. Die Probleme des Handwerks beruhen hauptsächlich auf dem schlechten Ruf. Dieser muss durch gezielte Aufklärung aus dem Weg geschafft werden, um junge Erwachsene von der Realität zu überzeugen. Es muss sich auch endlich in den Köpfen der Menschen verankern, dass gerade Handwerkerinnen und Handwerker eine Menge bewegen können, wenn es um Lösungen für drängende Probleme wie den Klimawandel geht.