Grüner Stahl: Die Zukunft der klimafreundlichen Industrie
Die Stahlindustrie zählt zu den größten CO₂-Emittenten weltweit – doch sie steht am Beginn einer Transformation. Grüner Stahl verspricht eine klimafreundliche Alternative zu herkömmlicher Produktion. Was genau steckt dahinter, wie nachhaltig ist dieser Ansatz wirklich, und welche Rolle spielt er für den Bau der Zukunft? Dieser Artikel gibt einen Überblick über Potenziale, Herausforderungen und Pioniere einer Branche im Wandel.
Das Wichtigste zum grünen Stahl in Kürze
- Grüner Stahl wird als Sammelbezeichnung für CO₂-arme bis CO₂-neutrale Stahlproduktion verwendet
- Erreicht wird die große Wirkung vor allem durch wasserstoffbasierte Direktreduktion und die Weiterverarbeitung im Elektrolichtbogenofen mit erneuerbarem Strom; Recycling über Elektrostahl bleibt zentral, ist aber durch Schrottverfügbarkeit begrenzt
- In Umsetzung sind Großprojekte u. a. bei thyssenkrupp, Salzgitter, ArcelorMittal und SHS; europäische Vorreiter sind HYBRIT und H2 Green Steel, erste Abnehmer aus der Autoindustrie sichern Nachfrage
- Zu den Hürden zählen hohe Investitions- und Energiekosten, fehlende Wasserstoff-Infrastruktur und begrenzter grüner H₂; Wettbewerbsdruck und Skalierung erschweren die Wirtschaftlichkeit
- Wettbewerbsfähigkeit entsteht durch CO₂-Bepreisung, Klimaschutzverträge und Förderprogramme (z. B. IPCEI-Wasserstoff, BIK) sowie leitmarktschaffende öffentliche Beschaffung
- Für den Bausektor bietet grüner Stahl große Hebel zur Senkung grauer Emissionen; CO₂-transparente Produktdaten und Vergaben mit Klimakriterien beschleunigen den Markthochlauf

Stahl ist allgegenwärtig: in Gebäuden, Brücken, Autos, Maschinen und Windkraftanlagen. Gleichzeitig verursacht seine konventionelle Herstellung immense Mengen an Treibhausgasen. Allein in Deutschland emittiert die Stahlindustrie jährlich rund 55 Millionen Tonnen CO₂, was etwa 28 Prozent der gesamten Industrieemissionen des Landes ausmacht. Rund fünf Prozent der EU-weiten und sieben Prozent der globalen CO₂-Emissionen gehen auf die Stahlindustrie zurück, wie aus Zahlen der Europäischen Kommission hervorgeht. Angesichts der zunehmenden Dringlichkeit, klimaneutral zu wirtschaften, steht die Branche unter wachsendem Druck, neue Wege zu gehen. Eine mögliche Lösung ist die Produktion von grünem Stahl. Dahinter steht die Idee, Stahl mit deutlich geringerem CO₂-Ausstoß zu produzieren, etwa durch den Einsatz von grünem Wasserstoff oder Strom aus erneuerbaren Quellen. Doch wie realistisch ist dieser Wandel? Kann grüner Stahl mit konventionellem Stahl wirtschaftlich mithalten? Und wie relevant ist er tatsächlich für Umwelt, Industrie und insbesondere die Baubranche? Hier erfahren Sie alles Wichtige über „grünen Stahl“, etwa wo seine Chancen und Grenzen liegen und wer ihn bereits heute produziert.
- Was ist grüner Stahl?
- Herstellungsprozess von grünem Stahl
- Grüner Stahl: Wer ihn heute schon herstellt
- Herausforderungen auf dem Weg zum klimaneutralen Stahl
- Marktsituation: Ist grüner Stahl wirtschaftlich konkurrenzfähig?
- Politische Weichenstellungen für klimafreundliche Stahlproduktion
- Nachhaltigkeit auf dem Prüfstand: Wie umweltfreundlich ist grüner Stahl wirklich?
Was ist grüner Stahl?
Grüner Stahl ist ein Begriff, der in den letzten Jahren immer häufiger fällt, primär im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung energieintensiver Industrien. Doch was genau bedeutet er eigentlich? Eine klare Definition gibt es bislang nicht. Der Begriff ist nicht geschützt und wird derzeit als Sammelbezeichnung für Stahl verwendet, der mit geringerer Umweltbelastung produziert wird und auf verschiedene Weise zur Reduktion von CO₂-Emissionen beiträgt.
Unter dem Etikett „grüner Stahl“ finden sich aktuell verschiedene Ansätze, darunter:
Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff | Insbesondere die Direktreduktion mit grünem Wasserstoff – also nachhaltig gewonnenem Wasserstoff – ersetzt fossile Reduktionsmittel wie Kohle, Erdgas oder Koks. Dieses Verfahren wird derzeit am häufigsten mit dem Begriff „grüner Stahl“ in Verbindung gebracht, da es als zentraler Hebel für eine klimaneutrale Stahlproduktion gilt. |
---|---|
Stahl mit geprüfter Emissionsbilanz | Der CO₂-Ausstoß bei der Produktion wird durch unabhängige Stellen überprüft und zertifiziert. |
Emissionsreduzierter Stahl | Durch verbesserte Verfahren, verstärkte Nutzung von Recyclingmaterial und den Einsatz erneuerbarer Energien wird der CO₂-Ausstoß verringert. |
Stahl mit klimaneutralem Fußabdruck | Verbleibende Emissionen werden durch Kompensationsmaßnahmen wie CO₂-Zertifikate ausgeglichen. |
Wichtig dabei: Unter dem Begriff „grüner Stahl“ werden aktuell vor allem verschiedene CO₂-reduzierte Stähle angeboten. Vollständig klimaneutrale Varianten sind bisher noch nicht am Markt erhältlich. Auch die Begriffe klimaneutraler Stahl und nachhaltiger Stahl tauchen in diesem Kontext häufig auf:
- Klimaneutraler Stahl zielt auf eine ausgeglichene CO₂-Bilanz: Emissionen, die bei der Herstellung entstehen, werden entweder vermieden oder vollständig kompensiert.
- Nachhaltiger Stahl betrachtet zusätzlich ökologische, soziale und wirtschaftliche Kriterien – etwa Ressourcenschonung, Recyclingfähigkeit oder faire Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette.
Herstellungsprozess von grünem Stahl
Die Herstellung von grünem Stahl unterscheidet sich von der traditionellen Stahlproduktion vor allem durch das eingesetzte Reduktionsmittel. In der konventionellen Produktion kommen fossile Energieträger wie Koks oder Erdgas zum Einsatz, um das Eisenoxid im Eisenerz chemisch zu reduzieren. Dabei wird dem Erz Sauerstoff entzogen. Bei dieser Reduktion entstehen als Nebenprodukte klimaschädliche CO₂- und CO-Moleküle. Besonders der Einsatz von Koks trägt erheblich zu den Emissionen der Stahlindustrie bei. Grüner Stahl hingegen setzt auf innovative Technologien, die den CO₂-Ausstoß deutlich reduzieren. Im Zentrum steht dabei die Direktreduktion mit grünem Wasserstoff – einem sogenannten Green Fuel. Hier übernimmt Wasserstoff die Rolle des Reduktionsmittels: Er reagiert mit dem Sauerstoff im Eisenerz und bildet dabei Wasser anstelle von Kohlendioxid. Dieser Prozess erzeugt sogenanntes Schwamm-Eisen, das anschließend in einem Elektrolichtbogenofen (EAF) zu Stahl weiterverarbeitet wird. Als ‚grün‘ wird Wasserstoff bezeichnet, wenn er durch Elektrolyse von Wasser unter ausschließlicher Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird. Setzt man für die gesamte Stahlproduktion, einschließlich der Direktreduktion und Elektrolichtbogenofen, Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie beispielsweise Solaranlagen ein, lässt sich die CO₂-Emission nahezu auf null reduzieren. Laut Fraunhofer-Gesellschaft gilt dieses Verfahren als vielversprechende Lösung für die klimaneutrale Stahlproduktion und könnte die CO₂-Emissionen der Rohstahlherstellung um bis zu 97 Prozent senken.
Ein weiterer wichtiger Ansatz zur Reduktion von CO₂ ist das Recycling von Stahlschrott. Der Einsatz von Schrott in Elektrolichtbogenöfen benötigt deutlich weniger Energie als die Herstellung von Stahl aus Eisenerz und kann, wenn der Strom zusätzlich aus erneuerbaren Quellen stammt, erheblich zur Senkung der Emissionen beitragen. Diese Form der Kreislaufwirtschaft ist klimafreundlich, sofern ausreichend hochwertiger Schrott zur Verfügung steht.
Grüner Stahl: Wer ihn heute schon herstellt
In Deutschland nimmt die grüne Stahlproduktion allmählich Fahrt auf. Der Wandel wird durch politische Förderung, technologischen Fortschritt und den wachsenden Druck auf klimafreundliche Lieferketten vorangetrieben. Das Bundeswirtschaftsministerium unterstützt die Transformation mit Förderprogrammen für sowohl Hochofen- als auch Elektrostahlverfahren. Alle großen Primärstahlerzeuger in Deutschland haben im Rahmen des Förderprogramms IPCEI-Wasserstoff umfangreiche Dekarbonisierungsprojekte eingereicht, die inzwischen von der EU-Kommission genehmigt wurden. Dazu zählen thyssenkrupp (tkH2Steel), Salzgitter (SALCOS), ArcelorMittal (DRIBE2) und die Stahl-Holding-Saar (Power4Steel) – alle vier setzen auf wasserstoffbasierte Verfahren, um ihre Produktionsprozesse grundlegend zu dekarbonisieren.
In Europa zählt vor allem Schweden zu den Vorreitern. Das Projekt HYBRIT von SSAB, LKAB und Vattenfall produziert bereits erste Chargen grünen Stahls auf Wasserstoffbasis. Das Startup H2 Green Steel baut derzeit eine großindustrielle Anlage, deren Produktionsstart für 2026 geplant ist. Weitere Fortschritte zeigen sich beispielsweise in Österreich (voestalpine), den USA (Nucor) und Indien (Tata Steel). In China testen die Unternehmen Baowu und HBIS erste Anlagen, allerdings setzt China auch perspektivisch weiterhin auf klassische Hochöfen.
Herausforderungen auf dem Weg zum klimaneutralen Stahl
Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Stahlproduktion steht vor enormen Herausforderungen – technologisch, wirtschaftlich und infrastrukturell. Der Weg zu grünem Stahl ist ambitioniert und keineswegs frei von Hindernissen.
Die Dekarbonisierung der Stahlindustrie erfordert den Einsatz neuer, oft noch nicht ausgereifter Technologien. Da Verfahren wie die Direktreduktion mit grünem Wasserstoff noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen, geht Climate Science davon aus, dass ihre Anwendung die Produktionskosten um etwa 20 Prozent erhöhen könnte. Die Implementierung von CO₂-Abscheidungstechnologien könnte die Kosten sogar verdoppeln.
Grüner Wasserstoff gilt als Schlüsselfaktor für eine klimaneutrale Stahlproduktion. Doch die Produktion in Europa ist bislang unzureichend. Trotz zahlreicher Projekte konzentriert sich deren Kapazität häufig auf die lokale Versorgung. Laut einer Importstrategie für Wasserstoff der Bundesregierung wird für das Jahr 2030 ein Bedarf von 95 bis 130 Terawattstunden erwartet, wobei bis zu 70 Prozent importiert werden müssten – in NRW sogar bis zu 90 Prozent. Woher dieser Wasserstoff konkret kommen soll, ist bisher nicht geklärt. Das Wuppertal Institut weist zwar auf Wasserstoffprojekte in Ländern wie Spanien, Namibia und Saudi-Arabien hin, betont jedoch, dass diese entweder vorrangig dem lokalen Bedarf dienen oder aus klimapolitischer Sicht kritisch zu bewerten sind.
Ein weiterer kritischer Faktor sind die hohen Energiepreise in Deutschland, die die wirtschaftliche Nutzung von grünem Strom in der Stahlproduktion derzeit erheblich erschweren. Die Wirtschaftlichkeit der grünen Stahlproduktion hängt jedoch maßgeblich von wettbewerbsfähigen Strompreisen ab – eine Voraussetzung, die aktuell nicht gegeben ist. Im Jahr 2025 beträgt der Industriestrompreis laut Statistischem Bundesamt in Deutschland (einschließlich Stromsteuer) etwa 18,75 Cent pro Kilowattstunde. Unternehmen weisen jedoch darauf hin, dass ein Preis von unter vier Cent erforderlich wäre, um auf internationaler Ebene wettbewerbsfähig zu bleiben. Zudem wird ein Schutz vor Billigimporten aus China gefordert, wobei die EU-Kommission stabile Rahmenbedingungen schaffen müsse. Ergänzend fordert die Salzgitter AG die Einrichtung sogenannter grüner Leitmärkte, zum Beispiel durch Quoten für grünen Stahl bei öffentlichen Ausschreibungen, um den Markthochlauf zu unterstützen und den Wettbewerb fairer zu gestalten. Auch die Integration ökologischer Bewertungskriterien und die Nutzung von Nachhaltigkeitskriterien in Leistungsbeschreibungen könnten dazu beitragen, den Markthochlauf zu unterstützen und faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
Auch die Rohstoffseite birgt Hürden. Zwar lässt sich Stahl fast vollständig recyceln – dabei werden etwa 56 Prozent weniger Energie verbraucht –, aber aktuell kann Schrott nur rund 35 Prozent des weltweiten Stahlbedarfs decken. Der Rest muss weiterhin aus Primärrohstoffen wie Eisenerz gewonnen werden.
Laut einer Veröffentlichung des Wuppertal Instituts liegt der Finanzierungsbedarf für die klimaneutrale Transformation der deutschen Stahlindustrie bei Investitionen in Milliardenhöhe. Diese betreffen nicht nur Produktionsanlagen, sondern die gesamte Wertschöpfungskette – von der Energieversorgung über die Logistik bis hin zur Marktentwicklung. Für die Phase 1 des Salcos-Programms investierte die Salzgitter AG bereits 2,3 Milliarden Euro. Davon stammen eine Milliarde Euro an Fördermitteln von Bund und Land, den Rest trägt das Unternehmen selbst.
Marktsituation: Ist grüner Stahl wirtschaftlich konkurrenzfähig?
Aktuell ist grüner Stahl teurer als herkömmlich produzierter Stahl. Dies liegt an den genannten Herausforderungen – vor allem an den hohen Produktionskosten durch teuren grünen Wasserstoff, hohen Energiepreisen und Aufbau neuer Anlagen. Auch die begrenzte Skalierbarkeit der Technik wirkt sich auf den Preis aus. Gerade im Bauwesen, wo große Stahlmengen verbaut werden, wirken sich höhere Preise für grünen Stahl besonders stark aus. Die Branche steht deshalb vor der Herausforderung, ökologische Ansprüche mit ökonomischer Realität und Projektbudgets in Einklang zu bringen. Ein Blick auf die großen Player der Branche zeigt unterschiedliche Strategien. Während die Stahl-Holding-Saar (SHS) konsequent auf grünen Stahl setzt, prüft Thyssenkrupp derzeit erneut sein Milliardenprojekt – unter anderem wegen einer fehlenden Wasserstoffversorgung, die die Wirtschaftlichkeit gefährden könnte. SHS sieht dieser Herausforderung gelassen entgegen: Man konzentriere sich auf den eigenen Weg und vertraue darauf, dass die eigene Nachfrage den Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur ausreichend anreize. Ein Lichtblick ist die wachsende Bereitschaft großer Industriekunden wie BMW, VW oder Daimler, grünen Stahl trotz Mehrkosten zu beziehen. Diese Unternehmen haben bereits erste Bestellungen aufgegeben, um ihre Lieferketten nachhaltiger zu gestalten. Laut einer Stellungnahme von Martin Zappe, Projektleiter beim Salzgitter-Vorhaben SALCOS, seien viele Kunden grundsätzlich bereit, für das umweltfreundlichere Produkt einen etwas höheren Preis zu zahlen. Langfristig könnte der europäische Markt sogar profitieren, wenn klimafreundlicher Stahl zu einem Exportschlager wird.
Ob grüner Stahl dauerhaft konkurrenzfähig wird, hängt zudem maßgeblich von den politischen Rahmenbedingungen ab. Klimaschutzprogramme wie der EU-Emissionshandel oder nationale Förderprogramme könnten dazu beitragen, die Mehrkosten zu kompensieren. Auch der steigende CO₂-Preis spielt eine zentrale Rolle: Je teurer der Ausstoß von CO₂ wird, desto unattraktiver wird die konventionelle Stahlproduktion. Dieser Preisdruck könnte Unternehmen zunehmend dazu zwingen, auf grüne Alternativen umzusteigen, um wettbewerbsfähig zu bleiben – und so auch die Verfügbarkeit von nachhaltigen Baustoffen für das Bauwesen zu steigern.
Politische Weichenstellungen für klimafreundliche Stahlproduktion
Die Transformation der Stahlindustrie hin zu klimafreundlicher Produktion wird in Deutschland durch eine Vielzahl von politischen Maßnahmen und Fördermitteln unterstützt.
Das „Handlungskonzept Stahl“ bildet dabei die strategische Grundlage für die Dekarbonisierung der Branche. Es verfolgt drei Hauptziele: den Schutz der deutschen Stahlindustrie vor unfairem Wettbewerb und Carbon Leakage, die Förderung der Umstellung auf CO₂-arme und langfristig CO₂-freie Stahlproduktion sowie die Positionierung als Vorreiter bei Klimaschutztechnologien. Im Fokus stehen dabei Investitionen in klimafreundliche Lösungen – insbesondere in wasserstoffbasierte Verfahren und den Einsatz erneuerbarer Energien. Zwischen 2022 und 2024 wurden bereits fünf Milliarden Euro bereitgestellt, um Projekte im Bereich Wasserstofftechnologien, Dekarbonisierung der Industrie und Klimaschutzverträge zu fördern.

Ein weiteres zentrales Element des Konzepts ist die Förderung von ‚Leitmärkten für klimafreundliche Grundstoffe‘, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie auf dem Weltmarkt zu stärken. Dies soll durch Maßnahmen wie einen CO₂-Grenzausgleich erreicht werden. In diesem Rahmen werden zudem transparente Kriterien und Standards entwickelt, um klimafreundliche Produkte zu kennzeichnen und in öffentlichen Vergabeprozessen bevorzugt zu behandeln – dieser Standard soll spätestens ab 2045 in Deutschland und ab 2050 auf EU-Ebene etabliert werden. Gerade bei öffentlichen Bauvorhaben könnten entsprechende Vorgaben die Nachfrage von grünem Stahl im Bauwesen deutlich ankurbeln.
Zu den wichtigsten Förderinstrumenten gehören darüber hinaus das ‚Programm Bundesförderung Industrie und Klimaschutz‘ (BIK), das Investitionen sowie Forschungs- und Innovationsvorhaben zur Klimafreundlichkeit in der Industrie unterstützt, sowie die Klimaschutzverträge, mit denen die Bundesregierung den Bau und Betrieb von großen, klimafreundlichen Produktionsanlagen fördert. Sowohl das europäische Projekt IPCEI-Wasserstoff als auch die Nationale Wasserstoffstrategie fördern gezielt die gesamte Wertschöpfungskette grünen Wasserstoffs – von der Erzeugung bis zur industriellen Nutzung, insbesondere in der Stahlproduktion. Ergänzend dazu wurden durch das Klimaschutzgesetz verbindliche Emissionsziele festgelegt. Der Europäische Green Deal und das Fit-for-55-Paket setzen auch auf EU-Ebene ambitionierte Vorgaben zur Treibhausgasreduktion. Finanzielle Anreize durch CO₂-Bepreisung sowie der Ausbau von Kreislaufwirtschaft und Recycling tragen zusätzlich dazu bei, die Stahlproduktion klimafreundlicher zu gestalten.
Nachhaltigkeit auf dem Prüfstand: Wie umweltfreundlich ist grüner Stahl wirklich?
Grüner Stahl verspricht einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung der Industrie – doch wie nachhaltig ist er tatsächlich? Die Antwort hängt stark davon ab, welche Herstellungsweise konkret gemeint ist. Denn: Der Begriff „grüner Stahl“ ist nicht rechtlich geschützt und wird derzeit als Sammelbegriff für verschiedene CO₂-reduzierte Produktionsformen verwendet. Im Kern lassen sich zwei Wege unterscheiden, wie Stahl umweltfreundlicher produziert werden kann: die Elektrostahlroute auf Basis von Schrott und die Direktreduktion von Eisenerz mit Wasserstoff.
Stahlschrott in Elektroöfen: Recycling mit Einschränkungen
Bereits heute stammt etwa ein Drittel des in Deutschland produzierten Stahls aus der sogenannten Elektrostahlroute. Hierbei wird nahezu 100 Prozent Stahlschrott in Elektrolichtbogenöfen eingeschmolzen – idealerweise mit Strom aus erneuerbaren Energien. Dieses Verfahren verursacht deutlich weniger CO₂ als die klassische Hochofenroute. Wird eine Tonne Stahl- oder Eisenschrott wiederverwertet, ersetzt das den Bedarf an etwa 1,5 Tonnen Eisenerz, der sonst für die Herstellung von neuem Stahl notwendig wäre. Allein in Deutschland führt das Recycling von Stahl jedes Jahr dazu, dass rund 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid gar nicht erst entstehen. Allerdings gibt es natürliche Grenzen: Der verfügbare Schrott reicht bei Weitem nicht aus, um den weltweiten Bedarf an neuem Stahl zu decken.
Wasserstoffbasierte Direktreduktion: Potenzial mit Hürden
Die wasserstoffbasierte Direktreduktion, bei der der Sauerstoff im Eisenerz statt mit Kohle mit Wasserstoff entfernt wird, ist noch nicht serienreif – grüner Wasserstoff ist bislang weder in ausreichender Menge noch zu vertretbaren Kosten verfügbar. Laut Thyssenkrupp wären für den Betrieb einer einzigen Direktreduktionsanlage rund 500 zusätzliche Windräder erforderlich, um genügend grünen Strom für die Wasserstoffproduktion zu erzeugen. Zum Start der Anlage 2026 soll deshalb zunächst Erdgas zum Einsatz kommen – besser als Kohle, aber nicht emissionsfrei. Das schwedische Unternehmen H2 Green Steel errichtet derzeit ein großangelegtes Werk mit Direktreduktionsanlage und eigenem Wasserstoff-Elektrolyseur. Die CO₂-Emissionen sollen dort – je nach Betriebsphase – nur 95 bis 195 Kilogramm pro Tonne Stahl betragen, verglichen mit rund zwei Tonnen bei herkömmlicher Hochofenproduktion. Einer der künftigen Abnehmer: der Automobilhersteller Porsche. Das Ziel der vollständigen Klimaneutralität ist allerdings erst für 2040 angepeilt.
Zwischen echter Nachhaltigkeit und rechnerischer Neutralität
Nicht zuletzt ist zu beachten: Nicht jeder „CO₂-neutrale“ Stahl ist auch wirklich emissionsfrei produziert. Manche Hersteller kompensieren ihre Emissionen durch den Kauf von Emissionszertifikaten – das ist zwar rechnerisch klimaneutral, verändert aber nichts an den tatsächlichen CO₂-Ausstößen im Herstellungsprozess. Ein echter Fortschritt wäre eine transparente, zertifizierte Ausweisung der Emissionen pro Tonne Stahl. Einige Hersteller bieten inzwischen CO₂-reduzierten Stahl mit konkreten Emissionswerten an. Im Rahmen einer nachhaltigen Beschaffung sollte zudem berücksichtigt werden, dass der Aufbau neuer Produktionsinfrastrukturen selbst nachhaltig erfolgt. Denn echte Nachhaltigkeit umfasst nicht nur CO₂-Einsparung, sondern auch Ressourcenschonung, Kreislaufwirtschaft sowie soziale und ökologische Standards entlang der Lieferkette.
Ausblick: Grüner Stahl als Zukunftstechnologie
Grüner Stahl ist weit mehr als nur ein Trendbegriff in der Debatte um nachhaltige Industrieproduktion – er steht für einen tiefgreifenden Wandel in einer der CO₂-intensivsten Branchen überhaupt. Grüner Stahl ermöglicht es der Industrie, ihre Emissionen deutlich zu senken und sich frühzeitig auf die Anforderungen einer klimafreundlichen Wirtschaft einzustellen. Besonders in stahlintensiven Branchen wie dem Bauwesen und der Automobilindustrie eröffnet sich dadurch die Chance, Klimaschutz und industrielle Wertschöpfung miteinander zu verbinden. Grüner Stahl spielt dabei eine zentrale Rolle in nachhaltigen Baukonzepten. Doch der Weg zu einer breiten Marktdurchdringung ist kein Selbstläufer. Hohe Energiepreise, die noch nicht flächendeckend verfügbare Wasserstoff-Infrastruktur und die Umstellung ganzer Produktionsketten stellen sowohl technologisch als auch wirtschaftlich massive Herausforderungen dar. Trotz bestehender Hürden bleibt grüner Stahl ein strategisch bedeutender Schlüssel zur industriellen Dekarbonisierung. Er kann nicht nur zur Erreichung nationaler und europäischer Klimaziele beitragen, sondern auch die deutsche Wirtschaft stärken, etwa durch Technologieführerschaft, Standortvorteile und den Ausbau international wettbewerbsfähiger Produktionskapazitäten. Wird heute politisch, infrastrukturell und wirtschaftlich konsequent gehandelt, hat grüner Stahl das Potenzial, vom Nischenprodukt zum neuen Industriestandard zu werden.