Handwerker hat kein Herz für Ingenieur:innen

Weil sie Besserwisser:innen und schlechte Zahler:innen seien, lehnt ein Riedenburger Handwerker Audi- und Siemens-Ingenieur:innen als Kund:innen rigoros ab – und erhält dafür viel Zuspruch.

Das Wichtigste zum Ingenieurs-Ausschluss in Kürze

  • Ein Handwerker aus Riedenburg lehnt Audi- und Siemens-Ingenieur:innen als Kund:innen ab, wegen Besserwisserei und schlechter Zahlungsmoral
  • Er berichtet von unrealistischen Erwartungen der Ingenieur:innen, die Praxis und Theorie oft nicht zusammenbringen
  • Beispiele: Streit über Millimeterabweichungen bei Fliesen oder Natursteinmustern, teils mit Klagen, die die Kunden verloren
  • Hauptärgernis ist jedoch die verspätete Zahlung und harte Rabattforderungen, seit dem Ausschluss kaum noch Zahlungsausfälle
  • Sozialwissenschaftler unterstützt den Vorstoß teilweise, sieht aber strukturelles Problem der akademischen Ausbildung
  • In sozialen Medien gibt es Kritik an der Pauschalisierung, Audi selbst äußert sich nicht inhaltlich
Handwerker auf dem Bau © Friends Stock / stock.adobe.com

Die ewigen Besserwissereien und schlechte Zahlungsmoral einige seiner Kund:innen gingen Michael Schmiedl irgendwann zu weit. Die Übeltäter:innen hat der 36-jährige Fachmann für Fliesenverlegung, Balkon- und Terrassensanierung auch schon längst ausgemacht: Ingenieur:innen. So findet sich auf der Internetseite des Handwerksbetriebs der Hinweis: „Wir arbeiten nicht für Ingenieure, Doktoranden und Professoren der Firmen Audi und Siemens. Sollten sie zur o. g. Personengruppe gehören, sparen Sie sich (und uns) das Verfassen von E-Mails. Ausschluss bedeutet Ausschluss.“

Trotz des Vorurteils ist sich der Handwerksmeister aus Riedenburg im Kreis Kelheim seines Handelns sehr wohl bewusst. Dem Donaukurier gegenüber erklärte er: „Ich habe aber keine andere Lösung mehr gesehen. Viele andere Handwerker sehen das genauso, es traut sich nur keiner so offen auszusprechen wie ich.“

Andere Welten

Was an dem ausgeschlossenen Personenkreis so schlimm sei, kann der Firmenchef genau benennen: „Audi-Ingenieure leben in einer anderen Welt, diese Leute sind total realitätsfremd. Da geht es um Millimeter und Nanometer, wie es sich in der Praxis oft nicht umsetzen lässt. Die sagen dir: ,Wir machen das bei Audi so, also mach‘ du das auch so.‘ Aber das geht oft nicht.“

Als Beispiel nennt Schmiedl einen Kunden, der sich für sein Bad ein Fliesenmodell mit den Maßen 30 mal 60 Zentimeter aussuchte, nachmisst und nicht akzeptierte, dass es fünf Millimeter abweicht. „Das ist aber immer so, weil die Fuge bei der Maßangabe mitgerechnet wird. Der Mann hat dann ein Normengutachten in Auftrag geben“, erklärt Schmiedl gegenüber dem Spiegel.

Ein anderer Audi-Ingenieur war mit seiner neuen Juramarmortreppe unzufrieden, weil das Muster im Stein nicht gleichmäßig genug gewesen sei. Bei einem Naturprodukt gebe es allerdings immer Abweichungen, so Schmiedl. Der Kunde hatte geklagt – und verloren.

Fehlende Zahlungsmoral

Am ärgerlichsten sei allerdings die eher verhaltene Zahlungsmoral der Ingolstädter Ingenieur:innen. „Ich gebe vier Prozent Skonto, wenn jemand innerhalb einer Woche zahlt. Sie wollen aber fünf Prozent oder mehr und zahlen dann manchmal doch erst nach drei Monaten“, wird der Handwerksmeister im Donaukurier zitiert.

Seit seinem rigorosem Ausschluss der Audi-Ingenieur:innen versichert Schmiedel, kaum noch Zahlungsausfälle zu haben. Solche von Siemens empfinde er gar noch schlimmer, sagt er.

Die Resonanz auf die Ausschlussaktion fallen zwar gemischt, in der Summe jedoch durchaus positiv aus. „Ich bekomme darauf viel Resonanz, so 10 bis 15 Mails am Tag, manchmal negative, aber auch sehr viele positive. Audi-Bandarbeiter nehme ich gern als Kunden an, denen gefällt meine Einstellung. Sie verstehen mich, weil sie die Ingenieure aus der Arbeit genauso pingelig kennen“, so Schmiedl.

Unterstützung aus der Wissenschaft

Zuspruch bekommt der Handwerksmeister auch aus der Sozialforschung. In einem Spiegel-Interview erklärt der Münchner Sozialwissenschaftler Prof. Fritz Böhle, dass er dem Vorstoß des Fliesenlegers durchaus etwas abgewinnen kann: „Gut, dass er das so klar sagt“, so Böhle. „Ich habe ihn doppelt bewundert dafür, dass er offensiv die Kunden kritisiert und den Mut hatte, sich dazu zu bekennen.“ Die Vorwürfe seien zwar zutreffend, dass dahinterliegende Problem aber keine persönliche Arroganz der Ingenieur:innen, sondern ein Problem der akademischen Ausbildung und der Erwartungen, die Unternehmen an Ingenieur:innen haben.

„Das Defizit der akademischen Ausbildung liegt darin, dass sie wissenschaftlich fundiert ist und man davon ausgeht, dass Wissenschaft in der Lage ist, alle wichtigen Dinge der Realität und Praxis exakt zu erfassen und zu beschreiben“, wird Böhle im Spiegel zitiert. Die Praxis sehe jedoch anders aus. Hier habe der Fliesenleger den Vorteil, über ein fundiertes Erfahrungswissen zu verfügen. „In Großunternehmen sitzen viele Ingenieure in Abteilungen, die gar keinen Kontakt zur Fertigung haben. Und sie bekommen – daran tragen sie selbst keine Schuld – auch nicht die Chance, diese Bereiche kennenzulernen und sich mit dem Erfahrungswissen der Facharbeiter auseinanderzusetzen.“

Der Sozialwissenschaftler zeigt sich aber auch kritisch: „Es darf nicht zu einer einfachen Akademikerschelte kommen. Da bin ich strikt dagegen. Der Fliesenleger muss anerkennen, dass der Ingenieur auch Dinge kann, die er nicht kann. Nicht, weil er dumm ist, sondern einfach deshalb, weil er sich auf etwas anderes spezialisiert hat. Und umgekehrt muss der Akademiker anerkennen, dass es da noch andere Experten gibt.“

Skepsis

So positiv wie Prof. Fritz Böhle sehen den Ingenieurs-Ausschluss aber längst nicht alle. In den sozialen Medien wird die Pauschalverurteilung der Ingenieur:innen zum Teil scharf kritisiert: „Kann es sein, dass es Arrogante und unverschämte, sozial bessergestellte, mit Titeln wie Dr., Ingenieur, Meister, Abteilungsleiter, Vorstand oder Manager überall zu finden sind? Kann es sein, dass es bei der Zahlungsmoral überall schwarze Schafe gibt? Kann es sein, dass Ausgrenzung falsch ist?“, schreibt der User Michael Riepl auf Twitter.

Audi wollte sich zu diesem Fall im Detail übrigens nicht äußern, verweist jedoch darauf, dass die entsprechenden Mitarbeiter:innen in ihrer Freizeit gehandelt hätten.

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Jan Hell

Jan Hell war von Juni 2016 bis Mai 2021 als Content-Manager bei der ibau GmbH in Münster tätig. Als Chefredakteur unserer Online- und Printmagazine verantwortete er die Bereitstellung aktueller Informationen. Seine Schwerpunkte lagen in der Recherche und Aufbereitung rechtlicher sowie wirtschaftlicher Themen. Mit seiner strukturierten Schreibweise stellt er komplexe Sachverhalte und Thematiken aus dem Ausschreibungs- und Vergabebereich nachvollziehbar und komprimiert dar.