Wir räumen auf: Vorurteile gegen das Handwerk

Erstveröffentlichung: 17.01.2023 09:04 |

Es gibt unzählige Klischees über das Handwerk. Doch auch wenn diese falsch sind, prägen sie das Bild des Handwerks. Welche Klischees sind die geläufigsten und welche Folgen haben sie? 

Das Wichtigste zu Vorurteilen gegen das Handwerk in Kürze

  • Klischees verzerren das Bild des Handwerks und schrecken Talente ab
  • Bezahlung variiert stark, Handwerker:innen mit Meistertitel und Akademiker:innen verdienen über das Berufsleben ähnlich, früherer Einstieg im Handwerk bringt Einkommensvorteile
  • Frauen haben im Handwerk Platz, Anforderungen sind vielfältig und nicht nur körperlich
  • Hohe körperliche Belastung in einigen Gewerken ist real, Prävention und Technik mindern Risiken
  • Handwerk erfordert Können, Ausbildung und Problemlösung, „das kann jeder“ unterschätzt die Komplexität
  • Vorurteile sind historisch gewachsen, Digitalisierung und moderne Karrierewege werden oft übersehen
  • Folgen sind Fachkräftemangel, weniger Diversität und ein schlechteres Image der Branche
  • Gegenmaßnahmen sind Rollenbilder, Aufklärung in Schulen, inklusive Unternehmenskultur und faire, vorurteilsfreie HR-Prozesse
Handwerker mit Helm auf einer Baustelle © Friends Stock / stock.adobe.com

Wer im Handwerk arbeitet, war nur zu doof für was anderes. Das ist wohl eines der bösartigsten Vorurteile gegen das Handwerk und gehört wahrscheinlich zu denen, die am weitesten von der Realität entfernt sind. Es kursieren einige Vorurteile gegen das Handwerk. Einige davon haben einen wahren Kern, andere sind einfach nur falsch und auch oft nicht mehr zum Lachen. Diese Vorurteile diskreditieren viele Arbeitnehmer:innen und sorgen unter anderem dafür, dass sich immer weniger Leute für eine Karriere im Handwerk entscheiden.

Die bekanntesten Vorurteile gegen das Handwerk

"Handwerk ist schmutzig und anstrengend"

Wer im Handwerk arbeitet, arbeitet mit seinen Händen. Das ist in der Regel körperlich anstrengend und in vielen Gewerken arbeitet man auf Baustellen, die naturgemäß schmutzig sind – aber auch nicht schmutziger als ein gründlicher Frühjahrsputz zu Hause. Doch wie staubig und klebrig das Arbeitsumfeld ist, schwankt stark zwischen den Berufen und auch den Arbeitnehmer:innen.

"Schlechte Bezahlung"

So pauschal kann die Bezahlung im Handwerk eindeutig nicht bewerten, da die Gehälter je nach Berufserfahrung, Qualifikation, Branche und Region stark variieren. Durchschnittlich liegt ein Jahresgehalt im Handwerk zwischen 36.700 und 40.300 Euro. Personen mit mehr Berufserfahrung erhalten ein höheres Gehalt und eine Person mit Meisterausbildung bekommt natürlich auch mehr als ein:e Gesell:in. Interessant ist, dass Handwerker:innen mit Meistertitel und Akademiker:innen über das gesamte Berufsleben hinweg betrachtet, durchschnittlich fast gleich viel Geld verdienen. Bis zum 60. Lebensjahr verdienen Menschen im Handwerk sogar deutlich mehr, Studierte holen erst zum Ende des Berufslebens auf. Das liegt vor allem daran, dass das Studium den Berufseinstieg deutlich verzögert. Wer also mit Anfang 20 gemütlich reisen und sich mit 30 ein Eigenheim kaufen möchte, ist im Handwerk wahrscheinlich besser aufgehoben als an der Universität.

"Frauen passen nicht ins Handwerk" oder auch "Die Arbeit ist zu schwer für Frauen"

Ja, der Frauenanteil im Handwerk ist noch immer viel niedrig. Insbesondere in gewerblich-technischen Berufen sind Frauen oft unterrepräsentiert. Doch sinnvoll begründbar ist das nicht. Frauen können zwar durchschnittlich niedrigere Lasten tragen, doch wer das als Grund dafür sieht, dass Frauen nichts im Handwerk zu suchen haben, unterschätzt die Komplexität dieses Berufsfeldes. Es gibt unzählige Handwerksberufe mit unterschiedlichen Anforderungen und auch in den einzelnen Gewerken werden Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen benötigt. Wer fein säuberlich Mosaikfliesen verlegen und so schöne Muster kreieren möchte, muss nicht muskelbepackt sein. Hier erfahren Sie mehr über Frauen im Handwerk. Wer sich Sorgen macht, dass Leute mit einer geringeren körperlichen Leistungsfähigkeit nicht in diesem Beruf arbeiten sollten, sollte sich wohl eher Sorgen um ältere Arbeitnehmer:innen machen, oder? Das bringt und direkt zum nächsten Klischee:

"Handwerker sind kaputt, bevor sie in Rente gehen"

Hier kommen wir leider zu einem Klischee, das einen wahren Kern hat. In manchen Handwerksberufen gehen über 60 Prozent der Arbeitnehmer:innen frühzeitig in eine Erwerbsminderungsrente. Die hohe Belastung, die Handwerker:innen in vielen Berufen erleben, führt zu gesundheitlichen Einschränkungen. Ein großes Problem in diesen Zusammenhang ist auch, dass diese Gruppe staatlich nur unzureichend abgesichert ist. Die Erwerbsminderungsrente beträgt nur 17 bis 34 Prozent des letzten Bruttogehalts und bietet somit keinen ausreichenden finanziellen Schutz. Auch eine private oder betriebliche Altersvorsorge kann das nur teilweise abfedern. Am wichtigsten ist es, die Arbeitsbedingungen und die Gesundheit durch Präventionsmaßnahmen zu verbessern. Zum Glück gibt es immer mehr technische Entwicklungen, die dazu beitragen.

"Das kann doch jeder"

Die Komplexität und das erforderliche Fachwissen wird bei Handwerksberufen viel zu häufig unterschätzt. „Ach, so eine Wand anmalen – das kriegt doch wirklich jeder hin.“ - diesen Satz hören Maler:innen fast täglich. Wer bereit ist sich einzuarbeiten und nur basale Handwerksgriffe benötigt, bekommt einige Sachen, die Handwerker:innen beruflich machen, bestimmt auch hin. Aber das wird mit Sicherheit nicht so ordentlich aussehen, wie bei jemandem, der die nötigen Handgriffe draufhat und über alle Besonderheiten der Materialien und so weiter informiert ist. Eine Wand weiß streichen ist schon etwas anderes, als Farbe mit klaren Kanten aufzutragen, Mustertapete ordentlich anzubringen oder besondere Optiken erzielen zu wollen. Und das sind nur einige sehr wenige Dinge, die Fachleute in ihrer umfangreichen Ausbildung gelernt haben.

"Handwerk ist nur für Doofe"

Dieses Vorurteil stammt wahrscheinlich aus einer Zeit, in der akademische Bildung als einzige Weg zum Erfolg gewertet wurde. Doch es entbehrt jeglicher Grundlage. Nicht ohne Grund haben Handwerker eine mehrjährige Ausbildung, in denen ihnen viel Wissen vermittelt wird, sie können und müssen immer wieder an Fortbildungen teilnehmen und neue Techniken lernen. Moderne Handwerksberufe sind ohne ein umfangreiches technisches Wissen und Problemlösungsfähigkeiten nicht möglich und jeder der über 130 Handwerksberufe erfordert spezifische Fähigkeiten und Kenntnisse. Zudem erfordern Handwerksberufe in der Regel ein hohes Maß an Kreativität und Innovation.

Es reicht! Was steckt hinter diesen Vorurteilen?

Die meisten Vorurteile entsprechen nicht der Realität, denn viele Handwerker:innen berichten von hoher Arbeitszufriedenheit, guten Verdienstmöglichkeiten und vielfältigen Karrierechancen. Zum Glück wird die Bedeutung des Handwerks für die Gesellschaft zunehmend erkannt und wertgeschätzt, die Fehlerhaftigkeit solcher Klischees wird also immer mehr anerkannt. Aber woher kommen die ganzen Vorurteile? Viele sind historisch gewachsen und beziehen sich noch auf Umstände, die einmal der Realität entsprochen haben. Handwerker haben früher wenig verdient und Frauen waren in den meisten Handwerksberufen nicht zugelassen. Aktuelle Entwicklungen, wie die zunehmende Digitalisierung im Handwerk hingegen, werden kaum wahrgenommen. In der Schule wird beispielsweise kaum über das Handwerk als Karriereweg geredet, insbesondere an Gymnasien wird die Uni als nächsten Schritt vorausgesetzt. Grundsätzlich entscheiden sich junge Leute aufgrund äußerer Einflüsse immer mehr für die akademische und immer weniger für die handwerkliche Bildung.

Die Folgen der negativen Klischees übers Handwerk

Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung

Vorurteile gegen Frauen, aber auch gegen Menschen mit Migrationshintergrund erschweren es diesen Personen oft, Ausbildungsplätze oder Arbeitsstellen zu finden. Das führt dazu, dass talentierte Jugendliche nicht ihren Weg in einen Handwerksberuf gehen können, oder qualifizierte Fachkräfte verdrossen nach Stellen in anderen Bereichen suchen. Diese Vorurteile tragen unter Umständen auch zu einem unangenehmen Arbeitsklima im Unternehmen bei, unter dem alle Beteiligten leiden.

Auswirkungen auf die Branche

Die negativen Klischees, die noch immer durch die Gesellschaft geistern, tragen unmittelbar zum Imageproblem des Handwerks bei. Sie festigen stereotype Vorstellungen über das Handwerk, was wiederum potenzielle Talente abschreckt und so maßgeblich zum Fachkräftemangel beiträgt. Zudem mindern sie die Diversität in der Branche, was ein Hemmschuh für Innovationen und Kreativität ist.

Was können wir dagegen machen?

Die Überwindung von Vorurteilen im Handwerk ist ein fortlaufender Prozess, der das Engagement aller Beteiligten erfordert. Durch gezielte Maßnahmen und ein Umdenken in der Branche kann die Chancengleichheit innerhalb des Handwerks verbessert werden und eine offene Kommunikation nach außen kann dafür sorgen, dass sich auch das Bild des Handwerks in der Öffentlichkeit wandelt. Werbemaßnahmen etwa von den Handwerkskammern, in denen junge Leute ihre Berufe präsentieren, sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Junge Männer und Frauen können als Rollenbilder für Ausbildungsinteressierte fungieren. Dazu tragen auch Initiativen wie der Girls' und Boys' Day bei. Doch diese Werte müssen auch im Handwerk gelebt werden. Ein Unternehmen, der neue Auszubildende mit dem Versprechen von Inklusion und Toleranz anwirbt, ist nicht nachhaltig erfolgreich, wenn diese Punkte nicht auch tatsächlich in der Unternehmenskultur umgesetzt werden. Das kann geschehen, indem Mitarbeiter zur Förderung von Vielfalt und Inklusion sensibilisiert werden und Arbeitgeber:innen sicherstellen, dass ihre Einstellungs- und Beförderungspraktiken frei von Vorurteilen sind.

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ibau Autorin Hannah Simons
Hannah Simons

Als Redakteurin produzierte Hannah Simons verschiedene informative Inhalte für die Kund:innen von ibau, insbesondere im Glossar- und Wissenswert-Bereich. In ihren Artikel klärte Sie schwerpunktmäßig über die Themen Umwelt, Gesellschaft und Vergaberecht auf. Dabei war es ihr besonders wichtig, komplexe Inhalte einfach und gut verständlich aufzubereiten. Ihr Ziel war es, dass sich Leser:innen problemlos über die wichtigsten Themen der Branche informieren können und ihnen dabei genug Zeit und Kapazitäten bleiben, sich auf die Kernaufgaben ihres Gewebes zu konzentrieren.