Unfälle auf Baustellen: Wie gefährlich ist die Bauwirtschaft?
2022 gab es insgesamt weniger Arbeitsunfälle in der Bauwirtschaft, im Vergleich zu den Vorjahren. Dennoch stirbt durchschnittlich rund alle dreieinhalb Tage eine Person auf der Baustelle. Eine erschreckende Tatsache, die angegangen werden muss.
Das Wichtigste zu Unfällen auf Baustellen in Kürze
- 2022 gab es 99.380 Unfälle, 74 davon tödlich – Zahl der Unfälle sinkt, Todesfälle bleiben hoch
- Größte Gefahren: Arbeiten in der Höhe, herabfallende Gegenstände, ungesicherte Baugruben
- Weitere Risiken: Gefahrstoffe, defekte Maschinen und unzureichende Sicherheitskoordination
- Baustellenverordnung seit 1998 sorgt für deutlich weniger Unfälle als vor 20 Jahren
- Arbeitgeber:innen müssen Erste-Hilfe-Pläne aushängen und Unfälle an die BG Bau melden
- Ziel der BG Bau: Rehabilitation oder berufliche Wiedereingliederung, ggf. Verletztenrente

Wer sich dafür entscheidet, auf dem Bau zu arbeiten, entscheidet sich damit auch für ein höheres Unfallrisiko. Denn auf Baustellen passieren mehr Unfälle als anderswo in der Berufswelt. Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter leben somit gefährlicher als Beschäftigte in der Abfallentsorgung und Lokomotivführer:innen, die die Plätze zwei und drei in der Hitliste der Berufe mit den meisten Unfällen einnehmen. Die meisten tödlichen Arbeitsunfälle passieren dabei an hochgelegenen Arbeitsplätzen, wie auf Dächern und Gerüsten.
Weniger Unfälle, aber mehr Todesfälle
Nach der Bekanntmachung der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) kam es im vergangenen Jahr zu 99.380 Unfällen auf Baustellen, davon endeten 74 tödlich. In den Vorjahren waren diese Zahlen zwar etwas höher, doch noch immer sterben alle drei bis vier Tage Arbeiter:innen im Bau. So gab es 2021 103.518 Unfälle, davon 85 mit Todesfolge. Laut der Berufsgenossenschaft Bau (BG Bau) lag die Anzahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle im Jahr 2020 bei 103.970, während im vorherigen Jahr 2019 insgesamt 106.774 Arbeitsunfälle bekannt wurden. Somit sank die Zahl in diesen Jahren um rund 2,6 Prozent und auch im letzten Jahr fiel sie um etwa vier Prozent zum Vorjahr 2021. Die meldepflichtigen Wegeunfälle sanken ebenfalls um knapp zehn Prozent auf 7.723 Unfälle im Jahr 2020.
Natürlich ist es erfreulich, dass es insgesamt weniger Unfälle gibt. Doch noch immer gehört die Bauwirtschaft zu der gefährlichsten Arbeitsgruppe, mit den höchsten Todeszahlen. 2020 starben sogar mehr Menschen als im Vorjahr, trotz der niedrigeren Anzahl an Unfällen. Und auch heute verlieren erschreckend viele Menschen ihr Leben auf der Baustelle. Zudem vermutet die IG Bau eine hohe Dunkelziffer in der Bauwirtschaft. Einige Unfälle auf Baustellen werden womöglich nicht gemeldet oder sogar vertuscht.
Insgesamt sicherer als vor 20 Jahren
Keine Frage – diese Unfallzahlen sind zu hoch. Doch es ist keinesfalls so, dass sie sprunghaft angestiegen sind. Zum einen gab es 2019 ungewöhnlich wenige tödliche Unfälle auf Baustellen, was den Anstieg der Todeszahl im Jahr 2020 erklären mag. Zum anderen darf man auch nicht vergessen, dass es vor zwanzig Jahren deutlich mehr Tote gab, nämlich dreimal so viele. Die Zahlen sind also grundlegend zurückgegangen. Das liegt vor allem an der so genannten Baustellenverordnung, die 1998 in Kraft getreten ist. Sie enthält bestimmte Sicherheitsstandards, die auf den Baustellen eingehalten werden müssen. Sie schreibt unter anderem vor, dass es in den Betrieben jemanden geben muss, der Sicherheitsfragen koordiniert. Diese:r Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator:in (SiGeKo) ist dann auch die haftende Ansprechperson für die Behörden.
Jahr | Unfalltote auf dem Bau |
---|---|
2017 | 88 |
2018 | 88 |
2019 | 70 |
2020 | 97 |
2021 | 85 |
2022 | 74 |
Wo die größten Gefahren lauern
In hohen Höhen
Besonders gefährdet sind Berufsgruppen, deren Arbeitsplatz in der Höhe liegt – also Dachdecker:innen oder Zimmerer:innen. Hier ist die Gefahr groß, abzustürzen. Oft stürzen Handwerker:innen auch durch ein Dach, wenn sie auf nicht tragfähige Bauteile treten. Gerade bei Lichtkuppeln und Lichtbändern kommt das vor. Leider führen Stürze aus hoher Höhe fast immer zu schweren Verletzungen, wenn nicht sogar zum Tod. Im letzten Jahr sind insgesamt 35 Personen durch Abstürze von Gebäuden et cetera verstorben.
Eine weitere Gefahr sind Gegenstände, die vom Dach oder vom Gerüst herabfallen und Menschen verletzen können. Dies können Werkzeuge sein, aber auch Baumaterialien wie beispielsweise Dachziegel. 2022 kam es zu rund 16 tödlichen Unfällen auf der Baustelle durch herabfallende Gegenstände.
In Baugruben
Bereits wenn die Baugrube ausgehoben wird, kann es zu den ersten gefährlichen Situationen kommen. Zum einen befinden sich im Boden oft Energieversorgungsleitungen, und arbeitet man beim Aushub nicht mit der nötigen Sorgfalt, kann man sie schnell beschädigen. Hier droht ein Stromschlag. Gefährlich kann es auch werden, wenn die Baugrube nicht abgeböscht ist. Mit etwas Pech stürzen die Grabenwände ein und verschütten schlimmstenfalls Menschen.
In Kanistern und Flaschen
Auf dem Bau werden viele Gefahrstoffe eingesetzt, beispielsweise Montageschäume oder Lösemittel. Es drohen unter anderem Vergiftungen, sowie Krebs und Erkrankungen der Atemwege und der Haut. Glücklicherweise lassen sich Gefahrstoffe schnell erkennen, denn auf den entsprechenden Kanistern und Flaschen sind stets Warn-Piktogramme angebracht. Doch beim unvorsichtigen Hantieren kann Flüssigkeit auf die Haut geraten, oder es werden Dämpfe eingeatmet.
Beim Umgang mit elektrischen Geräten und Maschinen
Auch von der Technik, die auf der Baustelle eingesetzt wird, können Gefahren ausgehen. Manchmal sind Geräte und Maschinen beschädigt, oder aber sie wurden nicht sachgerecht repariert. Auch wenn sie nicht gepflegt werden und aufgrund dessen verdrecken oder feucht werden, steigt die Verletzungsgefahr. Eigentlich gibt es Sicherheitsvorschriften, die genau dies verhindern sollen. Im stressigen Alltag auf der Baustelle gerät das aber manchmal in Vergessenheit.
Schlecht kommuniziert und koordiniert?
Manchmal tragen auch die Strukturen auf der Baustelle dazu bei, die Gefahr von Unfällen zu erhöhen. Der Preisdruck hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass viele Bauunternehmen weniger Aufträge komplett selbst durchführen, sondern sie an Subunternehmen weitergeben. Dadurch erhöht sich die Anzahl von Unternehmen, die auf der Baustelle anzutreffen sind. Das alles will geplant und koordiniert werden, und aufgrund der Komplexität kann es schnell zu (gefährlichen) Fehlern kommen.
Wie verhalte ich mich bei Unfällen auf der Baustelle richtig?
Kommt es zu Unfällen auf der Baustelle, ist es enorm wichtig, dass alle anwesenden Personen vor Ort wissen, wie sie sich in einer solchen Situation richtig verhalten. Dabei liegt es in der Verantwortung des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin, bereits präventiv für Sicherheit zu sorgen. Dazu gehört auch der Aushang eines Erste-Hilfe-Plans für alle Mitarbeitenden am Arbeitsplatz. Dieser Plan sollte alle Notrufnummern sowie die Kontaktdaten der Ersthelfer:innen und der Betriebssanitäter:innen enthalten. Darüber hinaus ist dafür zu sorgen, dass alle Mitarbeitenden Kenntnis darüber haben, wo sich das Erste-Hilfe-Material befindet. Im Falle eines Unfalls sollte zunächst dafür gesorgt werden, dass die Unfallstelle abgesichert wird. Außerdem muss die betroffene Person von der Gefahrenstelle mit ausreichend Sicherheitsabstand entfernt werden. Zudem muss bei schlimmeren Verletzungen der Rettungsdienst oder der Notarzt kontaktiert und bestenfalls Erste-Hilfe von den anwesenden Personen geleistet werden. Im Nachgang ist es ebenfalls wichtig, die Berufsgenossenschaft (BG Bau) anzurufen und den Vorfall zu melden. Bei einem Ausfall von mehr als drei Tagen besteht für den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin die Pflicht, eine Unfallanzeige bei der BG Bau aufzugeben. Sollte der Unfall tödlich enden oder verletzen sich mehr als drei Personen, muss diese sofort benachrichtigt werden.
Die Berufsgenossenschaft kümmert sich um die weitere Versorgung und Verwaltung. So erhalten die Betroffenen bei schweren Verletzungen eine:n Reha-Betreuer:in der BG für den Aufenthalt im Krankenhaus. Es wird stets das Ziel verfolgt, die Person wieder voll berufsfähig zu machen. Sollte dies jedoch nicht möglich sein, wird gemeinsam mit der BG Bau ein neuer Arbeitsplatz gesucht, oder sogar eine Verletztenrente gezahlt, wenn die Verletzungen mehr als 20 Prozent der Person beeinträchtigen. Darüber hinaus kümmert sich die Berufsgenossenschaft auch um die finanzielle Unterstützung nach dem Unfall.
Fazit
Jeder Unfall auf dem Bau ist einer zu viel, und es kann einiges getan werden, um die Sicherheit weiter zu erhöhen. Dazu leistet die Baustellenverordnung bereits präventiv einen guten Beitrag. Seit sie in Kraft getreten ist, ist die Zahl der Unfälle stark zurückgegangen – und das, obwohl kaum kontrolliert wird, ob die Anforderungen der Verordnung auch eingehalten werden. Viele Unternehmen setzen sie eigenverantwortlich um, aber längst nicht alle. Manche nehmen die Sicherheit nicht so ernst. Hier müsste mehr kontrolliert werden, doch dazu mangelt es schlichtweg an Personal. Nach dem Bericht „Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz“ des Bundesministeriums für Arbeit stehen den zuständigen Behörden der Länder insgesamt nur 1.439 Aufsichtsbeamte und -beamtinnen mit Arbeitsschutzaufgaben in Vollzeit zur Verfügung.