Wie der Bauüberhang die Wohnungsnot verschärft

Erstveröffentlichung: 04.11.2022 11:08 |

In wenigen Monaten werden alle Menschen, die mit dem Wohnungsbau zu tun haben, wieder die neuen Zahlen zum Bauüberhang betrachten und diskutieren, was das über die aktuelle Bauwirtschaft in Deutschland aussagt und ob sich daraus Trends für die kommenden Jahre ableiten lassen. Erfahren Sie in diesem Artikel, was der Bauüberhang (nicht) ist, was das Problem mit einem großen Bauüberhang ist und was er uns über den Wohnungsbau der kommenden Jahre verraten kann. 

Das Wichtigste zur Verschärfung der Wohnungsnot durch Bauüberhang in Kürze

  • Bauüberhang bezeichnet genehmigte, aber noch nicht fertiggestellte Bauvorhaben, inklusive begonnener oder im Rohbau befindlicher Projekte
  • Hoher Bauüberhang führt zu verzögerter Bereitstellung von Wohnraum, verschärft Wohnungsknappheit und erhöht Baukosten durch spätere Fertigstellung
  • Gründe sind verlängerte Bauzeiten, Fachkräftemangel, Materialengpässe, hohe Baupreise und zurückhaltende Bauträger aufgrund gestiegener Zinsen
  • Entwicklung: Bauüberhang sank bis 2008 auf 320.000, stieg bis 2021 auf 845.000, 2023 erstmals leichter Rückgang wegen weniger Genehmigungen
  • 2023 waren 56 % der Vorhaben bereits im Bau, ein Viertel erst frisch genehmigt – hoher Bauüberhang bedeutet nicht zwangsläufig Stillstand
  • Lösungsansätze sind schnellere Genehmigungen, serielle und modulare Bauweisen, Digitalisierung, Typengenehmigungen und neue Förderprogramme
  • Prognose: Bauüberhang wird weiter sinken, allerdings auch wegen sinkender Bautätigkeit und unsicherer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen
Baustelle - der Bauüberhang nimmt zu © PhotographyByMK / stock.adobe.com

Was ist der Bauüberhang?

Unter dem Bauüberhang versteht man die Anzahl genehmigter Bauvorgaben, die bis zum Ende eines Kalenderjahres noch nicht fertiggestellt wurden. Das umfasst alle Aufträge, die noch nicht begonnen wurden, sich aktuell im Bau befinden oder sogar schon im Rohbau fertig sind, bei denen die letztendliche Fertigstellung allerdings noch aussteht.

Was ist eigentlich Bauüberhang?

Unter Bauüberhang versteht man die Anzahl genehmigter Bauvorhaben, die bis zum Ende eines Kalenderjahres noch nicht fertiggestellt wurden. Darunter fallen sowohl Aufträge, die noch nicht begonnen wurden, als auch solche, die bereits begonnen wurden oder sogar schon im Rohbau fertig sind. Die letztendliche Fertigstellung steht allerdings noch aus.

Gründe für den Bauüberhang

Dass es einen Bauüberhang gibt, ist ganz normal und wichtig, wenn sich ein Land entwickeln will. Der Bau oder Umbau eines Gebäudes braucht Zeit und wenn genau dann der Jahreswechsel ist, zählt ein Gebäude nun einmal zum Bauüberhang. Ein zu hoher Bauüberhang kann allerdings auf Probleme in der Baubranche hindeuten. Oft entsteht ein hoher Bauüberhang durch verlängerte Bauzeiten, denn je länger sich Gebäude durchschnittlich im Bau befinden, desto höher ist natürlich auch der Bauüberhang. In den letzten Jahren haben sich die Bauzeiten, insbesondere für Mietwohnungen, erhöht. Das liegt beispielsweise am Fachkräftemangel in der Baubranche, oder weil Lieferengpässe und Materialknappheit die Arbeit verlangsamen und zeitweise stoppen. Auch die erhöhten Baupreise sorgen immer wieder für Probleme im Bauablauf.

Was ist das Problem mit einem großen Bauüberhang?

Ein zu großer Bauüberhang trägt zur Verschärfung des Wohnungsmangels bei, er deutet nämlich darauf hin, dass dringend benötigter Wohnraum später bereitgestellt wird. Der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum, insbesondere in Großstädten wie Berlin und München, wird so weiter erschwert, was eine große Herausforderung für die Wohnungsbaupolitik ist. Die Ampel-Regierung der 20. Legislaturperiode verfolgte beispielsweise das Ziel, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, darunter 100.000 Sozialwohnungen. Der anhaltende Bauüberhang erschwert die Erreichung dieses Ziels. Zudem beeinflusst der anhaltende Bauüberhang das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt. Er führt zu einer Verknappung des Wohnraumangebots trotz erteilter Baugenehmigungen. Zudem sorgen lange Bauzeiten in der Regel dafür, dass später zu höheren Baukosten gebaut werden muss, sodass das gesamte Projekt teurer wird.

Die Entwicklung des Bauüberhangs

Ende 2021 lag der Bauüberhang bei gut 845.000 Wohnungen – so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. In den 1990er Jahren lag er zeitweise über 900.000 Wohnungen, entstanden, weil unzählige neue Wohnungen genehmigt wurden, die erst mit zeitlichem Verzug fertiggestellt wurden. Bis 2008 wurde der in den 90er Jahren entstandene Bauüberhang peut a peut wieder abgebaut und schmolz auf nur 320.000 Wohnungen zusammen.

Seit 2009 überstieg die Zahl der genehmigten Wohnungen dann aber wieder die der Fertigstellungen und der Bauüberhang stieg immer weiter an. Einer der Gründe dafür ist, dass immer mehr Mehrfamilienhäuser genehmigt wurden und weniger Einfamilienhäuser. Da sich der Bauüberhang in Wohnungen bemisst, erhöht ihn ein Mehrfamilienhaus naturgemäß stärker als ein Einfamilienhaus. Aufgrund der geringen Bautätigkeit der letzten Jahre ist der Bauüberhang sukzessive wieder angestiegen.

2023 ist der Bauüberhang erstmals seit 15 Jahren wieder leicht zurückgegangen. Das liegt aber nicht an einer gestiegenen Bautätigkeit, sondern daran, dass Bauherr:innen aufgrund der Finanzierungszinsen und unsicheren Rahmenbedingungen sehr zurückhaltend sind, was zu deutlich niedrigeren Baugenehmigungen geführt hat. Während die Baugenehmigungszahlen um mehr als ein Viertel zurückgingen, sind die Fertigstellungszahlen stabil geblieben. Lediglich drei Prozent der erteilten, aber noch nicht umgesetzten Baugenehmigungen sind zum Jahresende 2023 erloschen.

Relevante Zahlen: Wendepunkte in der Entwicklung des Bauüberhangs

Jahr

Bauüberhang

1990er

Bis mehr als 900.000

2008

320.000

2017

653.000

2021

845.000

2023

826.800

Was zeigt der Bauüberhang nicht

Bei einer oberflächlichen Betrachtung des Bauüberhangs gerät schnell aus dem Blick, wie schnell an Baustellen gearbeitet wird. Ein hoher Bauüberhang kann den Eindruck erwecken, als würden Baustellen jahrelang nicht fertiggestellt und deswegen zum Bauüberhang gezählt. 2023 war allerdings bei 56 Prozent der Bauvorhaben im Neubau der Baubeginn bereits erfolgt. Nur rund ein Viertel des Bauüberhang von 2023 wurde auch erst in diesem Jahr genehmigt, weitere 32 Prozent der Bewilligungen stammen aus 2022 und nur 21 Prozent aus den Jahren 2020 oder früher. Das zeigt auch die regionale Verteilung des Bauüberhangs. Grundsätzlich ist der Bauüberhang nämlich in den Regionen höher, in denen am meisten gebaut wird und die meisten Menschen wohnen. Das mag dazu führen, dass die Höhe des Bauüberhangs als Indikator für die Entwicklung des Wohnungsbaus dienen kann. Das gilt allerdings nur eingeschränkt.

Lösungsansätze: So bekommen wir den Überhang runter

Um den Auswirkungen des Bauüberhangs entgegenzuwirken, werden verschiedene Maßnahmen diskutiert:

  • Einführung begleitender Qualitätskontrollen zur Optimierung der Bauprozesse
  • Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren
  • Förderung des seriellen und modularen Bauens zur Beschleunigung der Fertigstellung
  • Entwicklung neuer Förderprogramme
  • Förderung der Digitalisierung
  • Typengenehmigungen, also die einmalige Genehmigung eines Gebäudetypen, sodass dieser leichter an verschiedenen Orten gebaut werden kann.

Diese Ansätze zielen darauf ab, die Effizienz im Wohnungsbau zu steigern, in der Hoffnung, so den Bauüberhang zu reduzieren. Allerdings ist eine zu lange Bautätigkeit oft nicht Ursache des Bauüberhangs. Es gilt also, nach weiteren Lösungen für die Reduzierung des Bauüberhangs zu suchen.

Ausblick: Wie wird sich der Bauüberhang entwickeln?

In den ersten Monaten des Jahres 2025 werden die Zahlen für das Jahresende 2024 veröffentlicht werden. Aufgrund der rapide fallenden Baugenehmigungszahlen ist damit zu rechnen, dass der Bauüberhang weiter sinken wird. Allerdings ist auch davon auszugehen, dass die Bautätigkeit bereits in diesem Jahr gesunken ist. Darauf deuten neben der Anzahl an Baugenehmigungen auch die gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten der letzten Jahre hin, sowie die Verunsicherung von Investor:innen und Käufer:innen aufgrund weltwirtschaftlicher Veränderungen.

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Lorena Lawniczak - Redakteurin bei der ibau GmbH
Lorena Lawniczak

Während ihrer Tätigkeit als Redakteurin bei ibau hat sich Lorena Lawniczak um die Erstellung von qualitativem Content für unsere Leser:innen gekümmert. Sie beschäftigte sich speziell mit Themen zur Leadgenerierung und Sales und verfasste hilfreiche Ratgeber für Unternehmen. Neben diesen Themen setzte sie sich intensiv mit dem Vergaberecht auseinander und schrieb Glossarartikel zu Begriffen rund um Ausschreibungen und Vergaben. Durch ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre hat sie außerdem großes Interesse an digitalen Bereichen, wie dem Online-Marketing und konnte dieses Wissen vielfältig in ihre Texte einfließen lassen.