Vergabesperre: das können Bieter tun
Wer mit einer Vergabesperre belegt wurde, muss dies nicht immer hinnehmen. Gerade bei Interessenkonflikten können Bieter:innen darauf bestehen, dass ein milderes Mittel als der Ausschluss gewählt wird.
Das Wichtigste zur Vergabesperre in Kürze
- Vergabesperre = künftiger Ausschluss von Vergaben; weitergehend als Ausschluss im einzelnen Verfahren; Eintrag ins Wettbewerbsregister, Abfragepflicht ab 30.000 €
- Rechtslage: Keine allgemeine Sperr-Norm, aber Einzelgrundlagen (z. B. § 21 SchwarzArbG, § 19 MiLoG) und Vertragsfreiheit; Höchstdauer in § 126 GWB geregelt
- BGH 2021: Pauschale Sperre zur Interessenkonfliktvermeidung war rechtswidriger Eingriff in den Gewerbebetrieb; Unterlassungsanspruch des Betroffenen
- Mildere Mittel vor Sperre prüfen (z. B. Zuständigkeiten wechseln); § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB: Ausschluss nur, wenn Konflikt nicht anders zu beseitigen ist
- Rechtsschutz: Gegen allgemeine Sperren Zivilgerichte anrufen und auf Aufhebung klagen; „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ schließen Schutzlücke
- Praxis für Bieter:innen: Sperre nicht hinnehmen, Begründung anfordern, milderes Mittel einwenden, ggf. Selbstreinigung darlegen und gerichtliche Schritte einleiten

Manche Bieter:innen erfahren es eher so nebenbei. Sie wundern sich darüber, dass sie von der Vergabestelle nicht mehr über Ausschreibungen informiert werden oder ihr Angebot in einem Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde. Als sie nachfragen, erfahren sie, dass sie mit einer Vergabesperre belegt wurden – dies war aber ein Internum der Vergabestelle geblieben. Andere werden von der Vergabestelle durch eine Erklärung darüber informiert, dass über sie eine Vergabesperre verhängt wurde. In beiden Fällen stehen die Unternehmen nun vor einer Entscheidung: Die Sperre akzeptieren oder dagegen vorgehen? In vielen Fällen lohnt es sich tatsächlich, diese eben nicht zu akzeptieren.
Was ist eine Vergabesperre?
Wenn von einer Vergabesperre oder einer Auftragssperre die Rede ist, ist damit gemeint, dass ein bestimmtes Unternehmen von künftigen Vergabeverfahren ausgeschlossen wird. Vergabestellen können nur dann eine Vergabesperre verhängen, wenn das Unternehmen eine schwere Verfehlung zu verantworten hat. Der Name eines gesperrten Unternehmens wird im Wettbewerbsregister des Bundeskartellamtes eingetragen, welches von öffentlichen Auftraggeber:innen eingesehen werden kann und Informationen darüber enthält, welche Unternehmen von der Vergabe ausgeschlossen werden müssen. Immer wenn der Auftragswert 30.000 Euro netto übersteigt, sind Vergabestellen sogar dazu verpflichtet, das Wettbewerbsregister einzusehen.
Vielen ist im Zusammenhang mit der Vergabe der Begriff “Ausschluss” geläufig. Dabei gilt es zu beachten, dass eine Vergabesperre nicht dasselbe ist wie ein Ausschluss. Letzterer bezieht sich immer nur auf ein bestimmtes, aktuell laufendes Vergabeverfahren, während eine Vergabesperre auch in die Zukunft gerichtet ist und sich auf künftige Vergabeverfahren bezieht.
Manchmal informieren sich Vergabestellen gegenseitig darüber, dass sie über ein bestimmtes Unternehmen eine Vergabesperre verhängt haben. Wenn diese dem Beispiel folgen und auch eine Sperre aussprechen, handelt es sich um eine “koordinierte Auftragssperre”. Das kann für ein Unternehmen weitreichende Folgen haben. Gerade im Baugewerbe gibt es viele, die auf öffentliche Ausschreibungen angewiesen sind. Eine Sperre ist für sie manchmal sogar existenzgefährdend. Umso wichtiger ist es, dass zwischen den Interessen beider Seiten sorgfältig abgewogen wird.
Wann dürfen Unternehmen gesperrt werden?
Während für den Ausschluss vom Vergabeverfahren eine eigenständige Rechtsgrundlage (§ 123 und § 124 GWB) existiert, gibt es diese für Vertragssperren nicht – geregelt ist als einziges die Höchstdauer von Vergabesperren (§ 126 GWB). Es gibt aber Einzelregelungen, die eine rechtliche Grundlage für Vergabesperren bieten. Das Gesetz zur Bekämpfung von Schwarzarbeit (§ 21 SchwarzArbG) etwa, ebenso wie das Mindestlohngesetz (§ 19 MiLoG).
Aufgrund der allgemeinen Vertragsfreiheit dürfen sich Vergabestellen auch für Vertragssperren entscheiden. Demnach müssen sie keine Angebote von Unternehmen berücksichtigen, wenn diese in der Vergangenheit durch schwere Verfehlungen aufgefallen sind.
Bundesgerichtshof befasst sich mit Vergabesperre
Doch dürfen sie dies immer? Leider existiert derzeit keine Regelung, die hier Orientierung bieten könnte. Auch deshalb beschäftigte diese Frage bereits die Gerichte, im Jahr 2021 sogar den Bundesgerichtshof. In dem Fall ging es um eine Vertragssperre, die ausgesprochen wurde, um einen Interessenkonflikt zu vermeiden. Geklagt hatte ein eingetragener Umweltverein, der ökologische Studien durchführt und wissenschaftliche Gutachten erstellt – unter anderem im Auftrag eines Bundeslandes. Die zuständige Ansprechpartnerin war zu der Zeit eine Senatorin, die mit einem Mitarbeiter des Vereins verheiratet war. Dieser verfügte innerhalb des Vereins aber weder über Direktionsrecht noch über Personalverantwortung und hatte seit 2008 die Senatsverwaltung auch nicht mehr beraten.
Der zuständige Staatssekretär wies Anfang 2017 die betreffenden Abteilungsleiter:innen per Mail darauf hin, dass der Verein nicht mehr beauftragt werden könne. Als Grund nannte er die Vermeidung eines möglichen Interessenkonflikts und die Vermeidung jeden bösen Scheins.
Der Verein akzeptierte diese Vergabesperre nicht, zog vor Gericht und forderte, künftig wieder an Vergabeverfahren teilnehmen zu dürfen. Das zuständige Landgericht gab dem Verein Recht, während das Berufungsgericht die Klage abwies. Der Kläger legte daraufhin Revision ein.
Rechtsschutz gegen Vergabesperren
Der BGH betrachtet die Vergabesperre, die über den Verein verhängt wurde, als einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers. Außerdem seien weitere Beeinträchtigungen zu befürchten, weil der Ruf des Vereines aufgrund der Vergabesperre leide und eventuell Folgeaufträge ausbleiben könnten. Infolgedessen gestand er dem Verein einen Unterlassungsanspruch zu. Die Senatsverwaltung musste die strittige Anweisung zurücknehmen.
Beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt es sich um eine Rechtsposition und um einen Auffangtatbestand, der von der deutschen Rechtsprechung aus dem § 823 Abs.1 BGB entwickelt wurde. Sie greift immer dann, wenn eine Schutzlücke besteht, wie es bei der Vergabesperre innerhalb des Vergaberechts der Fall ist.
Im Vergaberecht können sich Bieter:innen gegen einen Ausschluss in einem konkreten Vergabeverfahren “zur Wehr setzen”, indem sie ein Nachprüfungsverfahren anstreben. Die Vergabesperren jedoch, die allgemein und für die Zukunft gelten, können nicht in einem Nachprüfungsverfahren überprüft werden. Hier besteht also eine Schutzlücke, und um diese zu schließen, können sich Bieter:innen auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb berufen. Laut BGH gilt dessen Schutzbereich nicht nur für den Gewerbebetrieb im handelsrechtlichen Sinn.
Die Abwägung der Schutzinteressen
Doch da es sich beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb um einen sogenannten offenen Tatbestand handelt, musste vorab eine Interessens- und Güterabwägung stattfinden. Der Schutz der Erwerbstätigkeit des Vereins musste dem Bedürfnis der Senatsverwaltung, jeglichen Verdacht auf einen Interessenkonflikte auszumerzen, gegenübergestellt werden. Der BGH entschied, dass der Schutz der Erwerbstätigkeit des Vereins höher zu bewerten ist. Dieser habe ein berechtigtes Interesse daran, durch die Aufträge der Senatsverwaltung den Verein wirtschaftlich abzusichern. Zudem stünde der Senatsverwaltung ein milderes Mittel zur Verfügung, um den Interessenskonflikt zu vermeiden. So hätte die Senatorin die Zuständigkeit für die Vergabeverfahren, an denen sich der Verein beteiligt, an ein:e Kolleg:in abgeben können.
Öffentliche Auftraggeber in der Pflicht
Öffentliche Auftraggeber:innen stehen immer mal wieder vor dem Problem, dass Personen, die bei der Vergabe mitwirken, Mitarbeiter:innen von potentiellen Auftragnehmer:innen näher kennen oder sogar mit ihnen verwandt sind. Es ist verständlich, dass sie den Verdacht der sogenannten “Vetternwirtschaft” ausräumen möchten. Grundsätzlich ist das auch möglich. Die rechtliche Grundlage hierfür ist in § 124 Abs.1 Nr.5 GWB gegeben: Öffentliche Auftraggeber:innen dürfen bei Interessenkonflikten ein Unternehmen von der Vergabe ausschließen, wenn dieser Konflikt nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann. Der Ausschluss gilt sozusagen als letztes Mittel.
Doch meist gibt es mildere Mittel, wie beispielsweise die Möglichkeit, die Zuständigkeiten neu zu verteilen. Öffentliche Auftraggeber:innen sollten daher, wenn ein Interessenkonflikt besteht, erst einmal intern nach einer Lösung suchen und auf keinen Fall vorschnell eine Vergabesperre verhängen. Dies kann schnell zum Eigentor werden, denn Bieter:innen können sich auf ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb berufen. Vergabestellen tun gut daran, nur nach einer sorgfältigen Abwägung eine Vergabesperre zu verhängen.
Praxistipps für Bieter
Wenn Bieter:innen von einer über sie verhängten Vergabesperre erfahren, können sie dagegen vorgehen. Sie haben die Möglichkeit, sich an die Zivilgerichte zu wenden und etwa auf Aufhebung der Sperre zu klagen. Ihre Chancen darauf, die lästige Vergabesperre wieder loszuwerden, stehen seit dem Urteil des BGH noch besser als ohnehin schon. Während es in früheren Jahren gängige Praxis war, bei Interessenkonflikten eine Vergabesperre zu verhängen, können Vergabestellen dies nun nicht mehr so einfach machen. Bieter:innen dürfen sich in dem Fall oft auf ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb berufen und darauf verweisen, dass dieses höher wiegt als die Vermeidung des Interessenkonfliktes – zumal es ja meist mildere Mittel gibt um diesem vorzubeugen.