Urban Mining: Unsere Städte als Bergwerke

Städte sind riesige Rohstofflager. Doch einmal verwendet scheinen Produkte an Wert zu verlieren. Durch Urban Mining soll mit dieser Einstellung aufgeräumt werden. 

Urban Mining © Lotfi MATTOU / stock.adobe.com

Alleine in Deutschland finden sich über 50 Milliarden Tonnen Material, die nach dem Rückbau von Gebäuden wieder neu eingesetzt werden könnten. Auf der anderen Seite hören wir aber von allen Seiten, dass wichtige Rohstoffe knapp werden. Wie passt das zusammen? Das Problem ist unser derzeitiges lineares Wertschöpfungsmodell, das Rohstoffe am Ende der Nutzungsdauer von Produkten als wertlosen Abfall definiert. Dabei ist eine langfristige und mehrmalige Verwendung der Rohstoffe notwendig, um die Grundlagen für die Bedürfnisse gegenwärtiger und zukünftiger Generationen zu sichern. Ein Ansatz, der zur vermehrten Nutzung von Sekundärrohstoffen führen soll, ist Urban Mining.

Was ist Urban Mining

Es heißt immer, Deutschland habe keine eigenen Rohstoffe, aber nach Jahrhunderten des Imports stimmt das eindeutig nicht mehr. Wenn wir durch unsere Städte laufen sind wir umgeben von bergeweise Rohstoffen. Diese Rohstoffe finden sich in Konsumgütern wie Autos oder elektronischen Geräten, auf Mülldeponien und in Produkten, die wir länger nutzen, wie Häuser und andere Immobilien. Der größte Teil dieser Materialien sind Steine, Beton, Asphalt und Erde. Diese landen in großen Teilen nach dem Abriss auf Deponien oder sie werden “recycelt” und im Straßenbau eingesetzt - de facto werden sie also heruntergestuft. Für Elektroschrott etabliert sich mittlerweile ein Rücknahmesystem, aber wer denkt beim Abriss seines Hauses daran, was mit den verbauten Materialien geschieht? Wenn diese Schätze aber gezielt gehoben werden, spricht man von Urban Mining. Das bedeutet zu Deutsch so viel wie “Bergbau im städtischen Bereich”, wobei sich der Ansatz nicht auf innerstädtische Lager beschränkt, sondern den gesamten Bestand langlebiger Güter einbezieht. Ziel des Urban Mining ist also eine Kreislaufwirtschaft, die dadurch erreicht werden soll, dass urbane Umgebungen als Rohstofflager begriffen werden, in denen wertvolle Materialien lagern, die abgebaut und genutzt werden können, wie bei einem Bergwerk.

Warum Urban Mining?

Gesteine, Sandgemische, Metalle et cetera wachsen nicht nach. Wir zehren schon lange von ihren Vorkommen und müssen immer tiefer in die Umwelt eingreifen, um Primärrohstoffe gewinnen zu können. Damit wird die Gewinnung kostenaufwändiger und mühsamer. Aber vor allem wird die Landschaft zunehmend zerstört, weil wir in empfindliche Ökosysteme eingreifen. Nicht selten werden dadurch umweltgefährdende Substanzen freigesetzt. Hinzu kommt, dass einige Rohstoffe fast ausschließlich in Krisengebieten mit politisch instabiler Lage und unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut werden, die wir unterstützen, indem wir die so gewonnen Produkte konsumieren. Entsprechend unsicher sind die Märkte und es herrscht ein rigoroser Wettbewerb - und das nicht nur um die Produkte wie seltene Erden und Gold selber. Der Rohstoffabbau konkurriert oftmals auch mit der lokalen Bevölkerung um die Nutzung knapper natürlicher Ressourcen wie Wasser und Flächen. Einige Metalle und seltene Erden stehen bereits auf der “Roten Liste der Rohstoffe”, da ihre Verfügbarkeit so kritisch ist. Durch die Verwendung von Sekundärrohstoffen können somit natürliche Ressourcen und die Umwelt geschont und Nutzungskonkurrenzen entschärft werden. Auch im Inland ergeben sich durch den Einsatz von Sekundärrohstoffen Vorteile. Das produzierende Gewerbe würde von Kosteneinsparungen im Materialbereich profitieren und die Erhöhung der inländischen Wertschöpfung würde sich positiv auf die Volkswirtschaft auswirken, würde Urban Mining flächendeckend eingesetzt. Insbesondere durch den Krieg in der Ukraine haben wir zudem gesehen, wie wichtig es ist möglichst unabhängig von Importen zu sein. Besonders wichtig ist die Rückgewinnung von Platin, seltenen Erden, Indium, Gallium und Tantal. Diese Rohstoffe sind Voraussetzung für viele zukunftsträchtige Technologien und Elektrogeräte wie Elektroautos, Solarzellen und Smartphones. Eine Herausforderung, die sich Urban Mining stellen muss, ist, dass im normalen Bergbau über die Jahrhunderte hinweg zuverlässige Techniken entwickelt wurden, die nicht unbedingt auf Urban Mining übertragbar sind. Dieses Hindernis kann allerdings auch als innovationstreibende Herausforderung angesehen werden in einem Wirtschaftszweig, der viele Arbeitskräfte mit unterschiedlichen Qualifikationen benötigt.

Herausforderungen beim Urban Mining

Welche Stoffe wir aus anthroprozänen, also vom Menschen geschaffenen Lagern, zurückgewinnen können, hängt maßgeblich von den wirtschaftlichen und logistischen Faktoren ab. Wie beim Bergbau muss zunächst geklärt werden, was in den Bauteilen enthalten ist. Die Reinheit der einzelnen Stoffe beziehungsweise Verbundenheit mit anderen Materialien ist hierbei ausschlaggebend, denn je komplexer die Materialverbindung ist, desto größer ist der Aufwand. Wer heute baut hat in der Regel schon einmal von Materialkatastern gehört. In diesen wird zu jedem Gebäude gesammelt, welche Materialien verwendet wurden, damit man die einzelnen Stoffe beim Rückbau einfach voneinander trennen kann. Die Gebäude, die heute abgerissen werden, sind so alt, dass sie keine solchen Materialpässe haben, was die Separierung deutlich erschwert. Schon auf der Baustelle wird der Schutt sortiert und in einer Datenbank erfasst. Teilweise ist eine Qualitätssicherung und Aufbereitung notwendig.

Was unterscheidet Urban Mining von anderen Recycling-Ansätzen?

Betrachtet man den Kreislauf von Produkten ist eine Unterscheidung zwischen langlebigen von kurzlebigen Gütern sinnvoll. Lebensmittel, Verpackungen und Kraftstoffe sind kurzlebige Güter. Sie bilden zwar sehr umfangreiche Materialströme, ihre Abflüsse, also Abfälle und Emissionen, lassen sich jedoch auch kurzfristig registrieren. Die Menge, die sich im Umlauf befindet, ist somit nahezu transparent und konstant, sodass eine belastbare Planungsgrundlage für künftige Stoffströme besteht. Langlebige Güter lassen sich hingegen schwerer erfassen. Mengenangaben zu Materialbeständen, ihre Zusammensetzung und ihr Verbleib lassen sich nur aufwändig ermitteln. Eine immense Stoff- und Produktvielfalt, komplexe Produktlebenszyklen und Nutzungskaskaden, rasante Technologiezyklen, intensive internationale Handelsverflechtungen und räumliche Verlagerungen erschweren eine hochwertige Aufbereitung und Rückgewinnung. Bei Gebäuden und anderen langlebigen Konsumgütern ist eine starke, zeitabhängige Dynamik zu berücksichtigen, mit der sich die Materialbestände verändern, da sich ihre Kreislaufführung mitunter erst nach einigen Jahrzehnten schließt. Der Kern von Urban Mining ist, dass eben diese Schwierigkeit Berücksichtigung finden soll, die in der klassischen Abfallwirtschaft gerne vernachlässigt wird. Künftige Stoffströme sollen möglichst früh prognostiziert werden, damit die bestmöglichen Verwertungswege abgeleitet werden können, bevor die Materialien als Abfall anfallen. Je besser dabei das qualitative und quantitative Wissen um die gebundenen Materialien und die Zeiträume, wann diese wieder aus dem Bestand freigesetzt werden ist, umso besser können sich die beteiligten Akteure auf anstehende Abfallströme und deren Verwertung einstellen. Der Handlungsrahmen reicht demzufolge vom Aufsuchen, über Erkundung und Erschließung bis zur Nutzung und Aufbereitung anthropogener Lagerstätten. Die herkömmliche Abfallwirtschaft hingegen befasst sich mit dem Abfallaufkommen an sich, also dessen Menge, Zusammensetzung und bestmögliche Rückführung in den Stoffkreislauf. Urban Mining ist nicht gänzlich losgelöst von der Abfallwirtschaft, er ergänzt diesen und verfügt darüber hinaus über Schnittmengen zum Produktions- und Konsumbereich.

E-Book "Strategien, um trotz Materialknappheit weiterarbeiten zu können" herunterladen

Ähnliche Artikel

18.07.2023 12:17 | Hannah Simons Veröffentlicht in: Wissenswertes
Ja, der Baustoff Beton ist ein Universaltalent. Aber jede Medaille hat ihre Kehrseite. Beim Beton ist das vor allem der ökologische Fußabdruck. [...]
23.01.2023 14:18 | Lorena Lawniczak Veröffentlicht in: Wissenswertes
Der Gebäudesektor soll durch ökologische Baustoffe nachhaltig werden. Als Erdöl-freies Dämmmaterial findet Zellulose immer mehr Anklang. Doch hält es, was es verspricht? [...]
21.12.2022 17:13 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
Auf deutschen Baustellen werden viele Rohstoffe verbaut, die von weither importiert wurden. In Zeiten instabiler Lieferketten wird der Ruf nach Alternativen immer lauter. [...]
28.10.2022 10:46 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
Damit sich keine Moose und Algen bilden, tragen viele Biozide auf ihre Hauswände auf. Doch die Chemikalien werden nach und nach vom Regen abgewaschen. Wo landen sie, und welche Folgen hat das Ganze? [...]
24.04.2024 15:09 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
Derzeit wird Holz als Baustoff wiederentdeckt, und dafür gibt es gute Gründe. Mit Holz lässt es sich umweltfreundlicher bauen, das Raumklima ist besser und in die Höhe bauen kann man damit auch.  [...]
19.03.2024 13:20 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
Bisher galt ein Gebäude als umweltfreundlich, das der Umwelt möglichst wenig schadet. Doch dieses Denken könnte bald überholt sein. Das Cradle-to-Cradle-Prinzip möchte mehr: Ein Haus soll nicht nur nicht schaden, sondern einen Mehrwert für die Umwelt bieten – un [...]
ibau Autorin Hannah Simons
Hannah Simons

Als Redakteurin produziert Hannah Simons verschiedene informative Inhalte für die Kund:innen von ibau, insbesondere im Glossar- und Wissenswert-Bereich. Als studierte Germanistin und Philosophin klärt sie schwerpunktmäßig über die Themen Umwelt, Gesellschaft und Vergaberecht auf. Dabei ist es ihr besonders wichtig, komplexe Inhalte einfach und gut verständlich aufzubereiten. Sie möchte, dass sich Leser:innen problemlos über die wichtigsten Themen der Branche informieren können und ihnen dabei genug Zeit und Kapazitäten bleiben, sich auf die Kernaufgaben ihres Gewebes zu konzentrieren.