16 Jahre Arbeit: Lohnt sich die Mantelverordnung?

2023 tritt die Mantelverordnung in Kraft. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis mit neuen Anpassungen zu rechnen ist. Ob die Verordnung ihre Versprechen halten kann, ist also zu bezweifeln.

Kritik an der Mantelverordnung © Ramona Heim / stock.adobe.com

16 Jahre lang wurde an ihr herumgedoktert und es hat kaum noch jemand daran geglaubt, aber am 1. August 2023 tritt sie endlich in Kraft: Die Mantelverordnung. Und mit ihr wird es das erste Mal bundeseinheitliche Regeln bezüglich der Herstellung und des Einsatzes mineralischer Ersatzbaustoffe geben. Der Flickenteppich, der durch die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern entstanden ist und durch den sich Hersteller:innen, Bauherr:innen, ausschreibende Stellen und Behörden seit Jahrzehnten durchkämpfen, gehört also bald der Vergangenheit an. So zumindest in der Theorie. Denn trotz des langwierigen Prozesses gibt es einige Punkte, die noch immer stark kritisiert werden. Lesen Sie hier, was Sie wissen müssen, bevor die Mantelverordnung 2023 in Kraft tritt!

Warum eine Mantelverordnung? Gründe und Ziele

Mineralische Abfälle sind mit mehr als 260 Millionen Tonnen (2017) der mengenmäßig größte Abfallstrom in Deutschland. Diesen kann man noch einmal unterteilen in Bau- und Abbruchabfälle (ca. 215 Millionen Tonnen) und die sogenannten industriellen Nebenprodukte (ca. 48 Millionen Tonnen), wozu insbesondere Flugasche aus Kohlekraftwerken und Eisenhüttenschlacke gehören. Wie mit diesen Abfallprodukten umgegangen wird, war bisher Ländersache. Die bundeseinheitlichen Regeln sollen nur dazu beitragen, Mensch und Umwelt vor Schadstoffen zu schützen, die potentiell in den Ersatzbaustoffen enthalten sind. Der Schutz von Boden und Grundwasser wird dabei fokussiert. Zudem sollen natürliche Ressourcen geschützt werden, indem eine höhere Verwertungsquote mineralischer Abfälle im Sinne der Kreislaufwirtschaft erreicht wird.
Doch auch was die Verwaltung und Handhabung betrifft, soll die Mantelverordnung einen Gewinn darstellen. Indem im ganzen Bundesgebiet die gleichen Regeln für den Umgang mit Ersatzbaustoffen, Böden und Abfällen gelten, soll für alle Beteiligten, also Erzeuger:innen, Verarbeiter:innen und Entsorgung, eine höhere Rechtssicherheit bestehen. Bisherige Regelungen sind meist nicht bundesweit anerkannt oder es mangelt ihnen, aufgrund ungenauer Formulierung, an Rechtsverbindlichkeit. Eine Harmonisierung der Landesregelungen soll also zu einem einfacheren behördlichen Vollzug und zur Praxistauglichkeit beitragen.

Ein jahrelanges Hin und Her: Die Geschichte der Mantelverordnung

Bereits 2011 wurde die erste Fassung der Mantelverordnung veröffentlicht. Sechs Jahre, bis Mai 2017, dauerte es, bis die Bundesregierung (damals: Union und SPD) diese das erste Mal beschlossen hatte. Kurz darauf folgte der Beschluss des Bundeskabinetts. Nach Ablauf von drei Sitzungswochen galt auch die Zustimmung des Bundestages als erteilt. Doch die Abstimmung im Bundesrat wurde vertagt, weil die Mehrheit der Länder die Ersatzbaustoffverordnung (EBV) ablehnte und das Scheitern der gesamten Mantelverordnung befürchtet wurde.
2018 bis 2020 haben Bund-Länder-Arbeitsgruppen der Umweltressorts intensiv an einem Kompromiss zur EBV gearbeitet, sodass der Bundesrat in der ersten Jahreshälfte 2020 wieder eingeschaltet wurde. Am 6. November 2020 dann hat der Bundesrat die Maßnahmen zur Verordnung, insbesondere eine Neufassung der EBV beschlossen. Kern dieser Neufassung war ein höheres Schutzniveau für die Umwelt und eine Verschärfung der ursprünglichen Fassung der Bundesregierung. Im November 2020 wurde die Mantelverordnung mit Maßgaben vom Bundesrat verabschiedet. Damit wurde der Weg für die finale Befassung durch das Bundeskabinett und den Abschluss des Verfahrens freigemacht.
Viele Verbände haben sich zu diesem Zeitpunkt, also Ende 2020 und Anfang 2021, positiv zum Bundesratsbeschluss geäußert, da dieser endlich bundeseinheitliche Regelungen einführe. Kritik wurde allerdings auch aus dem Baugewerbe laut: Statt das Recycling von Bau- und Abbruchabfällen anzuregen, würde es gehemmt, was zu einem Anstieg der Deponierung führe. Aufgrund des bereits knappen Deponieraums würden so die Entsorgungskosten steigen und somit auch die Baukosten insgesamt. Der damalige Bundesbau- und Innenminister Horst Seehofer (CSU) verweigerte daraufhin seine Zustimmung und die Verordnung drohte auf den letzten Metern zu scheitern. Es wurde vermutet, dass diese Blockade auf das Lobbying der bayerischen Bauwirtschaft und des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung zurückzuführen sei. Seehofer wurde entsprechend vorgeworfen, er würde primär bayerisches Interesse vertreten und nicht die Belange der gesamten Bauwirtschaft.
Im Februar 2021 hat das Kabinett das Verordnungspaket beraten. Auf Druck von Bayern wurde jedoch noch eine Länderöffnungsklausel unter § 8 Abs. 8 der Bundes-Bodenschutzverordnung eingefügt. Grund war die bereits erwähnte Befürchtung steigender Deponiemengen. Auf Grundlage der Länderöffnungsklausel können die Länder Regelungen treffen, durch die auch andere als die genannten Materialien zur Verfüllung genutzt werden dürfen und Überschreitungen der festgelegten Werte zulässig sind, wenn eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung nachgewiesen wird.
Aufgrund der Länderöffnungsklausel war eine erneute Beschlussfassung von Bundestag und Bundesrat nötig. Am 12. Mai 2021 erfolgte der erneute Kabinettsbeschluss, am 10. Juni 2021 hat der Bundestag zugestimmt, nachdem der Umweltausschuss die Verordnung ohne Änderung empfohlen hatte. Am 25. Juni erfolgte die Verabschiedung im Bundesrat.

Wann tritt die Mantelverordnung in Kraft?

Nach 16 Jahren hat die langwierige Diskussion um die Mantelverordnung ein Ende gefunden. Ob dieses zufriedenstellend ist oder nicht, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Am 16.07.2021 wurde die Verordnung veröffentlicht und tritt nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren am 1. August 2023 in Kraft. Für Herbst 2025 ist eine Evaluierung des Verordnungspakets angesetzt. Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass darauf eine neue Überarbeitung folgen wird.

Der Inhalt der Mantelverordnung

Die Mantelverordnung dient der Einführung einer Ersatzbaustoffverordnung, der Neufassung der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung und der Änderung der Deponie- (DepV) und der Gewerbeabfallverordnung (GewAbfV). Kernstücke sind dabei eindeutig die neue Ersatzbaustoffverordnung (EBV) und die veränderte Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV). Die EBV begrenzt das Eindringen von Schadstoffen in Boden und Grundwasser beim Einbau mineralischer Ersatzbaustoffe in technischen Bauwerken. Die BBodSchV artikuliert die Anforderungen des Bundes- und Grundwasserschutzes und versucht, diese mit den Zielen einer Kreislaufwirtschaft in Einklang zu bringen.

Ersatzbaustoffverordnung (EBV):

Oft findet man das Missverständnis, dass Mantelverordnung nur ein Synonym für Ersatzbaustoffverordnung ist. Denn das, was die EBV regelt, ist der meistdiskutierte Aspekt der Mantelverordnung. Bei der EBV geht es um die Einführung der bundeseinheitlichen und rechtsverbindlichen Anforderungen an die Herstellung und den Einbau mineralischer Ersatzbaustoffe. Ersatzbaustoffe sind etwa Recycling-Baustoffe aus Bau- und Abbruchabfällen, Bodenaushub, Baggergut, Gleisschrot sowie Schlacken aus der Metallerzeugung und Aschen aus thermischen Prozessen. In der EBV werden Schadstoffgrenzwerte für bestimmte Ersatzbaustoffe beziehungsweise ihre Materialklassen angegeben, deren Einhaltung von den Herstellern gewährleistet werden muss. Zudem finden sich Hinweise zu, an die Materialklassen angepassten, Einbauweisen, die entsprechend den örtlichen Gegebenheiten beim Einbau in das technische Bauwerk zu beachten sind.

Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV):

Die Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung ist seit 1999 wesentlich unverändert geblieben und damit nicht mehr auf dem Stand der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungswerte. Das soll sich jetzt ändern. Dazu werden die Methoden zur Bestimmung von Schadstoffgehalt aktualisiert und die Verordnung wird um Aspekte des physikalischen Bodenschutzes, die bodenkundliche Baubegleitung sowie die Gefahrenabwehr von schädlichen Bodenveränderungen aufgrund von Bodenerosion durch Wind erweitert.
Zudem wird die Regelung auf das Auf- oder Einbringen von Materialien unterhalb oder außerhalb einer durchwurzelbaren Bodenschicht ausgedehnt, sodass auch die Anforderungen an die Verwertung von Materialien in Verfüllungen von Abgrabungen und Tagebauen darunter fallen. § 8 Abs. 8 BBodSchV sieht allerdings eine Länderöffnungsklausel für die Verfüllung vor, die eine Ausnahme von der bundesweiten Einheitlichkeit ermöglicht. Bezüglich der Materialien zur Verfüllung können die Bundesländer also weiterhin abweichende Regelungen treffen.

Deponieverordnung (DepV):

Die Deponieverordnung wird dahingehend ergänzt, dass Ersatzbaustoffe, die nach EBV güteüberwacht sind, ohne zusätzliche Untersuchungen deponiert werden können.

Gewerbeabfallverordnung (GewAbfV):

Auch die Änderungen der GewAbfV sind lediglich Folgeänderung aufgrund der neu eingeführten Ersatzbaustoffverordnung. Die Vorgaben und Verpflichtungen der GewAbfV gelten für Ersatzbaustoffe ebenso wie für Gemische aus Ersatzbaustoffen und natürlichen Baustoffen.

Kritik an der Mantelverordnung

Im Großen und Ganzen sind die Meinungen zur Mantelverordnung positiv. In der Regel werden einzelne Punkte kritisiert, gelegentlich auch die Umsetzung im Generellen, aber die Idee einer Mantelverordnung wird durchgehend unterstützt. Die wichtigsten Kritikpunkte sind die folgenden drei:

Kritikpunkt 1: Es bedarf eines einheitlichen Verfahrens in der Qualitätssicherung von Ersatzbaustoffen

Die Ersatzbaustoffverordnung ermöglicht drei Verfahren zur Qualitätssicherung von Ersatzbaustoffen:

  • Den ausführlichen Säulenversuch im Eignungsnachweis (EgN), in der Werkseigenen Produktionskontrolle (WBK) oder in der Fremdüberwachung (FÜ)
  • Den Säulenkurztest
  • Das Schüttelverfahren

Problematisch ist allerdings, dass alle drei Verfahren als gleichwertig beschrieben werden, obwohl sie keine ausreichend übereinstimmenden Materialwerte liefern. Bei ein und demselben Material können sie also zu unterschiedlichen Einstufungen hinsichtlich der Materialklasse führen. So ergeben sich regelmäßig Änderungen oder Einschränkungen bei der möglichen Einbauweise. Das hat Unsicherheiten, Konflikte und nicht kalkulierbare Risiken beim Einbau von Ersatzbaustoffen sowie bei der Angebotslegung von beispielsweise Entsorgungsleistungen zur Folge.
Insbesondere die Säulenverfahren stehen dabei in der Kritik. Sie würden weder zu mehr Boden- und Grundwasserschutz führen, noch zu einer höheren Qualität der Ersatzbaustoffe und seien in erster Linie zeit- und kostenaufwändiger als das bewährte Schüttelverfahren, da ausreichende Lagerkapazitäten erst noch ausgebaut werden müssen. Deswegen wird die Festlegung auf ein einheitliches Analyseverfahren, vorzugsweise das Schüttelverfahren, gefordert. Nur so könne eine zuverlässige Einstufung der Materialien gewährleistet, unnötige Probleme verhindert und das Verfahren insgesamt vereinfacht werden.

Kritikpunkt 2: Abfalleigenschaft für Ersatzbaustoffe mindert Akzeptanz

Noch immer werden Ersatzbaustoffe als “Abfall” bezeichnet und niemand ist bereit, Abfall zu kaufen. Deswegen ist der Ruf nach einer produktneutralen Formulierung laut, die nur durch ein gesetzlich verankertes, vorzeitiges Ende der Abfalleigenschaft als Produktstatus für güteüberwachte Ersatzbaustoffe erreicht werden könne. Durch den Produktstatus und über das Produktrecht werden Bauherr:innen klar definierte und gesicherte Gewährleistungs- und Haftungsansprüche an die Hand gegeben.

Kritikpunkt 3: Bodenaushub wird vermehrt deponiert werden müssen

Die Verwertungsquote beim Bodenaushub lag 2021 bei 86,2 Prozent und fällt damit etwas niedriger aus als für den Bauschutt, Straßenaufbruch oder Baustellenabfälle. Die Sorge war und ist, dass durch die bundeseinheitliche Regelung und die damit strengen Regelungen, tonnenweise hochwertiger Bodenaushub nicht mehr in Sand- oder Kiesgruben eingebaut werden darf, sondern deponiert werden muss. Durch die Länderöffnungsklausel konnte dieser Sorge etwas entgegengewirkt werden. Dennoch, so wird konstatiert, habe die Mantelverordnung ihr Ziel, eine Baustoffrecyclingverordnung zu sein, nicht erreicht, da die größten und wichtigsten Fraktionen der mineralischen Bauabfälle, nämlich Boden und Stein, nicht ausreichend fokussiert worden sein. Es wird damit gerechnet, dass Probenahme, Zwischenlagerung, Einstufung des Bodenmaterials, Einbaumöglichkeiten, fehlende Regelungen zum Abfallende und die neuen Anzeigen- und Katasterpflichten dazu führen, dass alles teurer und komplizierter wird, was die Akzeptanz von Bodenaushub als Ersatzbaustoff sinken lasse.

Fazit

Es ist eindeutig: Die Hoffnungen, die an die Mantelverordnung gerichtet sind, sind immens. Und es ist auch eindeutig: Die Mantelverordnung hat ihre Schwachstellen. Sehr sicher wird es in wenigen Jahren wieder einige Anpassungen geben, aber mit der Verabschiedung der jetzigen Fassung ist schon ein großer Schritt getan. Erstmals gibt es bundeseinheitliche Regelungen, was dem lauten Schrei nach Entbürokratisierung entgegenkommt und sehr wahrscheinlich große Entlastungen bedeutet. Jetzt ist nur zu hoffen, dass diese Entlastungen größer sind als die neuen Belastungen, die auch Folge der Verordnung sein werden – doch das kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewertet werden.

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Hannah Simons

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