Wohnraum für alle, aber für mich das meiste!

Klar sollen andere auch schön wohnen, aber doch nicht in meiner Straße! Viele Menschen sind grundsätzlich dafür, mehr Wohnraum für alle zu schaffen – wollen selbst aber keine neuen Nachbarn in ihrem Blickfeld haben. Dieses Paradoxon ist als NIMBY-Phänomen bekannt. 

Das Wichtigste zum NIMBY-Phänomen in Kürze

  • NIMBY steht für „Not in my backyard“ – Zustimmung zu Neubauten ja, aber nicht vor der eigenen Tür
  • Wohnungsmangel treibt Mieten in Ballungsräumen hoch, Neubau wäre dringend nötig
  • Häufige Argumente: Verlust von Grünflächen, Schattenwurf, Parkplatzmangel – oft nur Vorwand für Eigeninteressen
  • Beispiele aus Hamburg, Berlin, München & Weilheim zeigen starken Widerstand gegen Nachverdichtung
  • Parlamente müssen Interessen abwägen und rechtssichere Lösungen schaffen
  • Begrünte Dächer, Parks und nachhaltige Konzepte können Akzeptanz neuer Bauprojekte erhöhen
Baustelle zur Nachverdichtung in einer Stadt - das NIMBY-Paradoxon © Calado / stock.adobe.com

Seit Jahren zieht es immer mehr Menschen in die Ballungsgebiete, aber entsprechend mehr gebaut wurde dort trotzdem nicht. Die bereits vorhandenen Wohnungen sind heiß begehrt und kosten in Metropolen wie Berlin oder München mehr, als sich viele erlauben können. Doch auch in deutschen Mittelstädten sind die Mieten in der letzten Zeit überproportional gestiegen. Im Durchschnitt sind die Kaltmieten in den letzten zwölf Monaten um drei Prozent gestiegen, für Erst- und Wiedervermietungen sogar um 13 Prozent.

Überall: Aber nicht in meinem Hinterhof!

Die Lösung scheint denkbar einfach: mehr bauen! Die meisten Menschen befürworten das – zumindest theoretisch. Was ganz anderes ist es, wenn diese neuen Wohnungen im eigenen Viertel, in der eigenen Nachbarschaft oder sogar direkt im eigenen Hinterhof gebaut werden sollen. Das geht dann natürlich nicht - und Gründe finden sich viele: die kleine Grünfläche im Hinterhof, die geschützt werden muss. Schließlich nistet dort eine Feldlerche. Außerdem würde ein neues Gebäude zu viel Schatten werfen.

Diese paradoxe Geisteshaltung ist unter Soziologen gut bekannt und wird als NIMBY-Phänomen bezeichnet. NIMBY ist das Akronym von „Not in my backyard“ – zu Deutsch: Nicht in meinem Hinterhof. Dieser Ausdruck trifft das Problem ganz gut. Es geht darum, dass Menschen den Wohnungsbau oder eine bestimmte Infrastruktur zwar für richtig halten und in vielen Fällen auch selbst nutzen wollen, etwa Windenergie oder Mülldeponien. Aber sobald solche Projekte in der eigenen Nachbarschaft geplant werden, ist das was ganz Anderes. Die als NIMBYs bezeichneten Personen wollen Vorteile wie eine zuverlässige Stromversorgung oder eine funktionierende Abfallentsorgung für sich nutzen, aber die Nachteile wollen sie nicht hinnehmen. Das Windrad soll lieber woanders gebaut werden, wo andere Personen mit den Nachteilen leben müssen – und die Mülldeponie am besten gleich mit.

Welche Gründe NIMBYs anführen

Mit den NIMBYs und besonders mit ihrer Art zu argumentieren beschäftigte sich auch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Meistens bringen sie eine Art von Beeinträchtigung an: Da wird durch den Neubau der Blick ins Grüne verstellt, Sonne und Licht genommen und außerdem gibt es sowieso zu wenig Parkplätze und zu viele Autos.
Beliebt sind auch all die Argumente, die auf das Allgemeininteresse abzielen protestiert wird da etwa gegen die Zerstörung von Pflanzen und Tieren oder gegen die Flächenversiegelung. Laut BBSR sind dies aber nur Stellvertreterargumente. Es wird Sorge um gesellschaftliche Interessen geheuchelt, wo doch eigentlich egoistische Eigeninteressen vertreten werden.

Ob Hamburg, München oder Berlin: Überall das gleiche Dilemma

In allen deutschen Städten ist es ähnlich. Am Ohlenkamp in Hamburg etwa hat sich eine Nachbarschaftsgemeinschaft formiert, die gegen den Abriss und Ersatzneubau eines bestehenden Mietshauses protestiert. Sie argumentieren damit, dass das geplante Mehrfamilienhaus überdimensioniert sei.
Die „vereinigte Berliner Bürgerinitiative“ arbeitet mit ähnlichen Argumenten, um eine Nachverdichtung abzuwenden. Der Stein des Anstosses: Sechs landeseigene Wohnungsbaugesellschaften wollen in bestehenden Wohnquartieren Neubauten errichten. Die Initiative führt an, dass dadurch Grünflächen verloren gehen und macht in einem offenen Brief auf ihre Interessen aufmerksam. In München laufen im Nobelviertel Schwabing gleich drei Mieter-Initiativen. Dort sind mehrere Neubauten geplant, für die sich die Grünen und die SPD seit April 2020 gemeinsam stark machen.
Doch auch in kleineren Städten läuft es nicht anders. In der bayerischen Kleinstadt Weilheim etwa wandte sich die gesamte Nachbarschaft gegen den Bau eines Doppelhauses mit insgesamt sechs Wohneinheiten und argumentierte, dass der geplante Bau zu viel Fläche versiegeln und zu viel Schatten werfe und Größe und Bauform nicht in die Siedlung passen. Die Nachbarschaft hatte Erfolg: Gebaut werden durfte schließlich nur ein kleineres Doppelhaus.

Wie lässt sich das lösen?

Grundsätzlich entscheiden gewählte Parlamente darüber, wie Flächen genutzt und welche Bauvorhaben wo verwirklicht werden dürfen und berufen sich dabei auf Gesetze. Dabei gilt es, die vielen Einzelinteressen zu berücksichtigen und eine Lösung zu finden, mit der möglichst viele leben können – ohne sich dabei von Lobbyist:innen reinreden zu lassen.
Eine wichtige Rolle bei der Stadtplanung spielen Umweltaspekte. Graue Hochhausschluchten, in denen sich im Sommer die Hitze staut und im Winter der Wind um die Häuser pfeift, liegen nicht mehr im Trend. Es wird vielen immer wichtiger, mehr Grün in die Städte zu bringen. Dächer und Fassaden lassen sich beispielsweise begrünen, und auch kleine Parks mit Spielplätzen sind für den Umweltschutz und für die Nachbarschaft gleichermaßen gut. Mit solchen Neubauprojekten kann man auch hartnäckigen NIMBYs den Wind aus den Segeln nehmen – denn gegen mehr Grün können sie ja nichts haben.

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ibau Autorin Iris Jansen
Iris Jansen

Iris Jansen war von Juni 2021 bis Mai 2024 als Content-Managerin bei der ibau GmbH in Münster tätig. Sie versorgte die Leser:innen gemeinsam mit ihren Kolleginnen die Rubrik „Wissenswertes“ mit neuen Inhalten: Was tut sich im Handwerk? Wie reagiert die Bauwirtschaft auf die aktuellen Herausforderungen? Themen rund um Holz und Beton mochte sie gern und freute sich über gleichgesinnte Leser:innen, die mit ihr die Baustellen streifen wollten. Als ausgebildete Technische Redakteurin interessierte sie sich für die technischen und handwerklichen Details, behielt dabei das große Ganze im Blick. Laut Iris gab es im Baubereich viele spannende Fragen, die beantwortet werden wollen – nicht zuletzt, um allen Bauinteressierten dabei zu helfen, den Überblick zu behalten.