Beton, der sich selbst heilen kann

Ein Bakterium lässt kleine Risse im Beton verschwinden. Durch diesen selbstheilenden Beton können Brücken oder andere Bauwerke länger halten. 

Das Wichtigste zu selbstheilendem Beton in Kürze

  • Bacillus cohnii schließt Risse durch die Bildung von Calciumcarbonat
  • Sporen bleiben bis zu 200 Jahre aktiv und reparieren wiederkehrende Schäden
  • Aktivierung erfolgt nur bei Kontakt mit Wasser und Sauerstoff in Rissen
  • Bakterien werden in Ton- oder Lehmkügelchen verpackt, um sie zu schützen
  • Besonders geeignet für Brücken, Tunnel und schwer zugängliche Bauwerke
  • Kosten liegen leicht über normalem Beton, werden durch längere Haltbarkeit ausgeglichen
Beton mit selbst heilenden Kräften © Michael Rogner / stock.adobe.com

Ohne Beton läuft nichts auf dem Bau. Der beliebte Baustoff lässt sich gut verformen und bietet daher eine große Vielfalt beim Gestalten. Zudem ist er robust und verfügt über hervorragende Schall- und Brandschutzeigenschaften. Verstärkt man ihn mit einer Stahlbewehrung, hält er großen Zugkräften stand – ideal für den Bau von Brücken und Tunneln. Beton ist zwar langlebig, aber auch hier nagt nach einer Weile der Zahn der Zeit. Eine Brücke etwa ist starken Witterungseinflüssen ausgesetzt und zusätzlich sorgen die Druckbelastungen durch den Autoverkehr dafür, dass kleine Risse entstehen. Durch diese dringt dann Regenwasser bis an die Stahlbewehrung, die infolgedessen zu rosten beginnt und nicht mehr die nötige Stabilität bietet. Die Brücke muss über kurz oder lang erneuert werden – ein enormer Aufwand und auch schlecht für die Umwelt, denn bei der Herstellung von Beton wird viel CO2 in die Umwelt geblasen.

Was ist selbstheilender Beton?

Schon die chinesische Mauer wurde aus einem künstlichen Stein erbaut, der dem heutigen Beton ähnelt, und schon damals wussten die Menschen, dass der Stein irgendwann Risse bekommen wird. Um das Risiko zu reduzieren, haben sie Reiskörner hinzugemischt, die die Feuchtigkeit aufsaugen können. Aber das reicht heute natürlich nicht mehr: Eine Mauer darf ruhig mal ein wenig bröckeln, eine riesige Autobahnbrücke über ein Tal sollte das besser nicht. Deswegen wird seit Jahren an selbstheilendem Beton geforscht. Die Hoffnung: Kleine Risse sollen sich von alleine wieder schließen, bevor größere, gefährliche Schäden entstehen können. Dies soll mit Hilfe von Bakterien möglich sein.

Wie genau kann sich Beton selbst heilen?

Risse im Beton, die sich wie von Zauberhand wieder verschließen – das klingt für viele erstmal utopisch. Doch ‘ganz von selbst’ geht das nicht vonstatten. Vielmehr sind die Hauptakteure so winzig, dass wir sie ohne Mikroskop nicht sehen können. Ein Bakterium mit dem Namen Bacillis cohnii hat hier seinen großen Auftritt.
Dem Beton werden Dauersporen des Bakteriums beigesetzt, die unter den passenden Umständen aktiv werden. Wenn Risse im Beton entstehen, gelangen Sauerstoff und Wasser in seinen Lebensraum. Das Bakterium setzt daraufhin Calciumcarbonat frei, das kristallisiert und die Risse wieder verschließt. Calciumcarbonat ist ein Kalk und damit ein Hauptbestandteil von Beton. Die eigentlich lebensfeindliche Umgebung im Beton, mit einem sehr basischen pH-Wert zwischen 12 und 14, ist für das Bakterium kein Problem. Die Sporen des Bakteriums, das für den Menschen völlig unschädlich ist, bleiben bis zu 200 Jahre lang im Beton biologisch aktiv.

Und der Selbstheilungsprozess läuft schnell: Forschende der Far Eastern Federal University (FEFU) in Wladiwostok, Russland, haben eine Probe des Materials so stark komprimiert, dass kleine Risse mit einer Breite von 0,2 bis 0,6 Millimeter entstanden sind. Innerhalb von 28 Tagen hat das Bakterium diese Risse wieder repariert. Nach rund einem Monat hatte die Betonplatte wieder ihre ursprüngliche Druckfestigkeit. Die Bakterien bildeten daraufhin wieder Sporen als Dauerform, sodass sie bei einem nächsten Riss wieder ihre Arbeit aufnehmen können. Die Heilung der Risse wurde unter dem Mikroskop beobachtet und die chemische Struktur der reparierten Struktur wurde mit Hilfe von Elektronenmikroskopie und Röntgentechniken analysiert.

Kann man die Bakterien im Zement einrühren?

So einfach ist das leider nicht. Wenn man beim Anrühren des Betons Bakterien untermischt, werden diese sofort aktiv und produzieren sofort Kalk. Das ist jedoch unnötig, denn zu diesem Zeitpunkt gibt es noch keine Risse. Die Bakterien brauchen eine Art Träger, der sie erst freigibt, wenn Risse vorliegen. Dazu gibt es zwei Ansätze:
Der niederländische Materialforscher Sybrand van der Zwaag von der Technischen Universität Delft verpackt die Bakterien in Lehmkügelchen und mischt sie unter den Beton. Sobald ein Riss entsteht, platzt die Lehmkugel und das Bakterium wird zum Leben erweckt.

Eine ähnliche Idee hatte der Mikrobiologe Hendrik Marius Jonkers, der wie Sybrand an der Technischen Universität Delft tätig ist. Er verkapselt die Sporen der Bakterien in zwei bis vier Millimeter große Tonpellets und mischt sie zusammen mit Stickstoff, Phosphor oder einem Nährstoff der Betonmischung bei. Auf diese Weise können die Bakterien bis zu 200 Jahre schlafend im Beton verharren und erst dann mit den Nährstoffen in Kontakt treten, wenn Wasser durch Risse in die Betonkonstruktion eindringt.

Wo kann man ihn einsetzen?

Selbstheilender Beton eignet sich besonders für Bauwerke, die der Witterung besonders ausgesetzt sind. Auch für Stellen, die für Wartungsarbeiter schwer erreichbar sind, ist dieser Baustoff eine gute Lösung. So lassen sich teure und komplizierte manuelle Reparaturen vermeiden. Ein positiver Nebeneffekt ist zudem, dass die Bakterien Sauerstoff verbrauchen, wodurch die Korrosion von Stahlbeton im Inneren verhindert wird. Selbstheilender Beton wäre also insbesondere für Brücken, Tunnel und Stützmauern geeignet.

Durchaus erschwinglich

Auch finanziell gesehen ist selbstheilender Beton eine gute Sache. Das Bakterium Bacillus cohnii lässt sich leicht und in großen Mengen im Labor züchten, so dass sich die Mehrkosten im Rahmen halten. Während sich die Herstellungskosten bei herkömmlichem Beton auf 80 Euro belaufen, liegen sie bei selbstheilendem Beton zwischen 85 und 100 Euro. Diese Mehrkosten würden durch die deutlich niedrigeren Reparatur- und Austauschkosten jedoch wieder eingeholt.

Exkurs: Neben selbstheilendem gibt es auch lebenden Beton

Ein anderer Ansatz, um Beton umweltfreundlicher zu machen, ist lebender Beton. Der Ansatz wurde von dem Team um Will Srubar von der University of Colorado Boulder entwickelt. Auch hier kommen wieder Bakterien zum Einsatz, die Kalk produzieren. Das Cyanobakterium wird auf einem Gerüst aus Sand und Hydrogel angesiedelt. Das Hydrogel liefert Feuchtigkeit und die Nährstoffe, die die Bakterien brauchen, um Kalk zu produzieren. So entsteht ein Material, das ähnlich hart ist wie Mörtel.
Das Bakterium bleibt am Leben und pflanzt sich weiter fort. Werden wieder Sand und Hydrogel angefügt, entsteht ein neuer Brocken in der vorgegebenen Form. Statt immer wieder neue Bauteile zu produzieren, kann also ein einziger Baustein vermehrt werden.

Basierend auf diesem Versuch könnte auch eine andere Version des selbstheilenden Betons erzeugt werden. Die Forscher:innen halten den Ansatz für vielversprechend, doch er steht zurzeit noch am Anfang. Problematisch ist außerdem, dass das Bakterium eine feuchte Umgebung braucht, sodass der lebende Beton nicht in trockenen Gebieten eingesetzt werden könnte. Aber in Küstengebieten könnte man ihn aufgrund der höheren Luftfeuchtigkeit gut einsetzen.

Fazit: vielversprechende Lösung für umweltfreundliche Betonproduktion

Selbstheilender Beton ist zurzeit noch Zukunftsmusik. Der private Häuslebauer:innen profitiert noch nicht davon, aber in absehbarer Zeit wahrscheinlich der Brücken- und Tunnelbau. Der neue Baustoff muss sich erst noch in der Praxis bewähren. Eingesetzt wurde er bisher für den Bau eines Wasserbecken und in einem kleinen Häuschen, in größeren Bauwerken jedoch noch nicht.
Bis Dato ist selbstheilender Beton vor allem ein spannender Ansatz. Durch ihn könnten Bauwerke langlebiger werden, so dass weniger Beton hergestellt werden muss und somit auch weniger CO2 in die Atmosphäre gelangt. Auch teure Renovierungsarbeiten könnten überflüssig werden, und vielleicht verlängert sich auch die Lebensdauer von Häusern insgesamt, so dass weniger neu gebaut werden muss.

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ibau Autorin Hannah Simons
Hannah Simons

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