Sanierungspflicht: Aus der Traum vom Eigenheim?

Erstveröffentlichung: 06.03.2023 15:36 |

Die EU-Kommission will die Gebäuderichtlinien verschärfen – Durch eine Neufassung soll das Ziel eines klimaneutralen Gebäudesektors bis 2050 realisiert werden. Aber wer soll für die Sanierungskosten aufkommen? Und woher soll man die Fachkräfte nehmen?

Sanierungspflicht © philip kinsey / stock.adobe.com

Der Gebäudesektor schadet dem Klima neben der Energiewirtschaft, der Industrie und dem Verkehr am meisten. Für das Heizen und die Warmwasserversorgung wird noch immer überwiegend Energie aus fossilen Brennstoffen genutzt. Mehr als ein Drittel der Treibhausgasemissionen in Europa gehen auf Immobilien zurück. Bei der aktuellen Sanierungsrate ist die Klimaneutralität im Gebäudesektor bis 2050 ein unerreichbares Ziel. Deshalb macht sich die Kommission für eine Renovierungswelle stark: Mit dem Entwurf zu einer neuen Gebäuderichtlinie würden die Vorschriften zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden mit dem europäischen „Green Deal“ in Einklang gebracht und es würde konkretisiert, wie die Modernisierungswelle in Schwung kommen soll. Doch wie genau soll diese Richtlinie aussehen? Der Bund hat nun die ersten Entscheidungen zum energieeffizienten Heizen getroffen.

Das Prinzip hinter der Effizienzrichtlinie

Mithilfe der Energieeffizienzrichtlinie (EnEff-RL) sollen Maßnahmen festgelegt werden, die den Klimawandel und die negativen Folgen der Energienutzung in der Baubranche eindämmen. Die Richtlinie beinhaltet Aspekte, wie die Modernisierung der Energieerzeugung oder auch eine Energieeinsparungsquote. Dadurch soll der Energieverbrauch reduziert werden und die Regierungen Strategien ausbauen, um die Energieeffizienz zu erhöhen. Die umstrittenste Maßnahme wäre die Einführung von „Minimum Energy Performance Standards“, kurz MEPs. Die Mitgliedsländer müssten bis 2035 energetische Mindeststandards definieren, die von den Gebäudeeigentümer:innen erfüllt werden müssen. Daraus würde dann resultieren, dass Eigentümer:innen von Gebäuden mit schlechter Ausstattung zur Sanierung verpflichtet werden. Auf diese Weise werden die besonders energieineffizienten Gebäude als erstes saniert, was der Tatsache Rechnung tragen würde, dass das energieineffizienteste Drittel der Gebäude in Deutschland für die Hälfte des CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Mithilfe der Richtlinie werden die Investitionen und die Zahl der Sanierungen erhöht und gleichzeitig das Klimaziel schneller erreicht.

Kommt es nun zu einer Sanierungspflicht?

Aktuell gibt es noch keinen unmittelbaren gesetzlichen Sanierungszwang in Deutschland, der für alle einheitlich gilt. Dennoch kann es unter bestimmten Voraussetzungen für einzelne Eigentümer:innen von Gebäuden zu einer Sanierungspflicht kommen. Beispielsweise müssen Gebäude, die keine allgemeine Sicherheit bieten, saniert werden, um die Verletzungsgefahr zu beseitigen. Das gilt auch für Häuser und Wohnungen, die über einen langen Zeitraum leer standen und nun anderweitig Verwendung finden sollen, oder solche, die in bestimmten Städten von besonderer Bedeutung sind, etwa aus Gründen des Denkmalschutzes. Darüber hinaus müssen auch die Dämmwerte von Hausdächern, besonders von Altbauten, auf ein bestimmtes Niveau fallen – andernfalls bedarf es einer Sanierung. Diese Anordnungen sind jedoch auf den Einzelfall individuell anzuwenden und können unter Umständen rechtlich abgewehrt werden.
Doch das soll sich nun ändern: Es wurde ein Plan für eine allgemeine Sanierungspflicht entwickelt. Je nach Art des Gebäudes müssen diese innerhalb einer gewissen Zeit auf ein bestimmtes Niveau gebracht werden. Um diese Niveaus zu definieren, sollen Energieeffizienzklassen verwendet werden. Solche Effizienzklassen existieren bereits in Großbritannien oder den Niederlanden. In Deutschland gilt dies derzeit nur für Waschmaschinen und Kühlschränke. Nun soll das Prinzip jedoch europaweit auch für Gebäude durchgesetzt werden. Die Effizienzklassen sind in den Energieeffizienzausweisen gegeben und reichen, in einer absteigenden Spanne, von A bis H. Hierbei soll die oberste Gebäudeklasse A für Nullemissionshäuser (“Plusenergiehäuser“) reserviert werden. Die weiteren Klassen werden schließlich so abgestuft, dass maximal 20 Prozent der Gebäude in eine Kategorie fallen. Derzeit plant man die Einführung eines neuen Gesetzes zur Erreichung der einzelnen Effizienzklassen. Demnach sollen voraussichtlich bis 2030 alle Wohngebäude mindestens die Effizienzklasse E und bis 2033 schließlich die Effizienzklasse D erreichen. Die Gebäudeinhaber:innen sollen, laut dem Plan, für jedes bestehende Gebäude, einen Renovierungspass erhalten, in dem schrittweise erläutert wird, wie das Gebäude dem Sanierungsziel bis 2050 näher kommt. Der Besitz eines solchen Passes ist verpflichtend und er enthält konkrete Hinweise, was saniert werden muss, um die Mindestanforderungen zu erfüllen und die jeweilige Effizienzklasse zu erreichen. Die Einstufung in die jeweiligen Klassen erfolgt jedoch nach und nach, um die Eigentümer:innen der Gebäude nicht zu überfordern. Für Mehrfamilienhäuser gelten außerdem strengere Regelungen. Das genaue Vorhaben lautet folgendermaßen:

Jahr

Öffentliche Gebäude und Nichtwohngebäude

Wohngebäude

Mehrfamilienhäuser

bis 2027

Energieeffizienzklasse F

-

-

bis 2030

Energieeffizienzklasse E

Energieeffizienzklasse F

Energieeffizienzklasse E

bis 2033

-

Energieeffizienzklasse E

-

bis 2035

-

-

Energieeffizienzklasse D

bis 2040

-

-

Energieeffizienzklasse C

Wie können die Effizienzklassen erreicht werden?

Grundsätzlich kann die Effizienzklasse einer Immobilie durch energetische Sanierung verbessert werden. Dabei spielen insbesondere die Dämmung von Dächern, Fensternund der Fassadeoder die Nutzung der Heizungsanlage eine wichtige Rolle. In einigen Fällen können diese entweder optimiert oder alternativ ausgetauscht werden. Zusätzlich bietet sich die Möglichkeit, Photovoltaikanlagen oder Solarthermien zu installieren. Die Kosten dafür können durch verschiedene Förderungen gedeckt werden. So bietet beispielsweise die KfW mit der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG Wohngebäude) zinsgünstige Kredite für Sanierungen und Neubauten an. Die Höhe des Zuschusses hängt dabei von der angestrebten Effizienzklasse ab.

Aufgaben und Ziele der Sanierungspflicht:

Mit der Sanierungspflicht würden verschiedene Aufgaben für die Eigentümer:innen von Gebäuden einhergehen. Diese sind übersichtlich im Gebäudeenergiegesetz (GEG) dargestellt:

  • Dämmung der obersten Geschossdecke: Ungedämmte Dächer müssen, laut dem GEG, nachträglich gedämmt werden, wenn sie den Mindestanforderungen nach DIN 4108-2 nicht genügen. Davon ausgenommen sind Wohngebäude, die mindestens zwei Wohnungen besitzen, von denen eine von dem oder der Eigentümer:in bewohnt wurde. Bis zum Eigentümer:innenwechsel ist keine nachträgliche Dämmung notwendig
  • Heizungstausch: Neu eingebaute Heizungen in Neubaugebieten müssen, nach dem aktuellen Gebäudenergiegesetz, ab dem 1. Januar 2024 zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Wenn es sich dabei um bestehende oder neue Gebäude außerhalb von Neubaugebieten handelt, unterscheidet man diese Frist abhängig von der Größe der Stadt: In Großstädten mit mindestens 100.000 Einwohner:innen gilt die Pflicht ab dem 30. Juni 2026, in kleinen Städten erst ab dem 30. Juni 2028. Bei Öl- oder Gasheizungen, die noch funktionsfähig sind oder repariert werden können, wird gesetzlich kein Heizungstausch vorgeschrieben. Sollte die Heizung jedoch nicht mehr reparierbar oder mehr als 30 Jahre alt sein, greifen pragmatische Übergangsfristen. Bis diese Einbaufristen ablaufen dürfen weiterhin Öl- oder Gasheizungen eingebaut werden. Allerdings wurden für diesen Fall weitere Fristen festgelegt, innerhalb derer ein bestimmter Anteil an erneuerbaren Energien für die Heizungen ermöglicht werden muss.
    Ab 2029: Anteil von mindestens 15 Prozent
    Ab 2035 Anteil von mindestens 30 Prozent
    Ab 2040: Anteil von mindestens 60 Prozent
    Ab 2045: Anteil von 100 Prozent
  • 10-Prozent-Regel: Für den Fall, dass bei einer Sanierung mehr als zehn Prozent eines Bauteils erneuert werden, ist vorgesehen, dass dieses danach vollständig den Vorschriften des GEG entspricht. Dafür fallen gegebenenfalls weitere Dämmungen an.

Die Ziele, die mit der geplanten Sanierungspflicht verfolgt werden sollen, sind langfristig betrachtet förderlich für das Klimavorhaben. Durch Sanierungen kann Energie gespart werden, da durch gute Dämmungen das Heizvolumen reduziert wird. Das resultiert einerseits in niedrigeren Kosten und führt andererseits zu weniger Ausstoßen. Dadurch kann auf lange Sicht mehr Nutzen für die Umwelt generiert und die Energiearmut bekämpft werden.

Anzahl betroffener Gebäude in Deutschland

Da die Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Systematiken zur Klassifizierung der Gebäude anwenden, wäre ein erster Schritt die Harmonisierung der Systeme. Die EU unterteilt Immobilien aktuell in sieben Effizienzklassen, von A bis G, wohingegen das Spektrum in Deutschland von A+ bis H reicht. Deswegen ist zurzeit nicht genau kalkulierbar, wie viele Gebäude in Deutschland instand gesetzt werden müssen. Fachleute schätzen allerdings, dass aufgrund des noch immer hohen Einsatzes fossiler Energien in Deutschland weitaus mehr Gebäude betroffen sein werden, als in den Niederlanden. Aktuell wird hierzulande fast die Hälfte der Heizungen mit Erdgas betrieben, in knapp einem Drittel wird sogar noch Öl verbrannt. Expert:innen nehmen an, dass etwa 35 Millionen von insgesamt 220 Millionen Gebäuden betroffen sein werden, das entspricht einem Anteil von rund 15 Prozent des jeweiligen Landes. Darunter fallen, laut Schätzungen der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff), größtenteils Gebäude aus der Nachkriegszeit.

Ein unrealistisches Vorhaben oder eine längst überfällige Maßnahme zum Klimaschutz?

Die Maßnahmen zur Sanierungspflicht stehen aktuell noch einigen Kritiker:innen gegenüber, so auch dem Eigentümerverband Haus und Grund Deutschland. Er erwartet, dass die Umsetzung für 40 Millionen Gebäude europaweit, drei Millionen davon in Deutschland, das Aus bedeute, da eine entsprechende Sanierung technisch nicht umsetzbar und ein Ersatzbau zu teuer sei. Der Präsident des Verbandes ist der Meinung, dass die Maßnahmen nicht nur gut, sondern auch realisierbar sein sollten. Dabei lagen die anfänglichen Ziele der Brüsseler Kommission auf einem noch höheren Niveau. Ab 2027 sollten bereits alle Häuser die Effizienzklasse E erreichen, andernfalls stünden sie nicht mehr dem Verkauf zu. Doch die starke Kritik aus den Mitgliedsstaaten hatte dieses Vorhaben gekippt. Zudem sind die Kosten, die dabei entstehen, beachtlich. Laut einer Studie, die das Verbändebündnis Wohnungsbau in Auftrag gegeben hat, kommen auf Deutschland dann Kosten von bis zu 150 Milliarden Euro pro Jahr zu. Außerdem warnen Wohnungsbauverbände auch vor steigenden Mieten.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland hingegen begrüßt die Kommissionsvorschläge, da so endlich Tempo in die Bewältigung von Klimakrise und Energiearmut kommen würde. Auch der Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle erachtet eine solche Neuerung als wichtigen und überfälligen Schritt. Die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz sieht in der Maßnahme zudem eine Chance, die Bürger auf lange Sicht von steigenden Gas- und CO2-Preisen zu entlasten. Deswegen sei nun die Bundesregierung gefordert, sich im Europäischen Rat für eine schnelle und ambitionierte Umsetzung einzusetzen. Noch mehr Potential würde die Richtlinie jedoch haben, wenn sie auch eine nachhaltige Elektrifizierung und Digitalisierung berücksichtigen würde, kritisiert der Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI. Lösungen für digitales Planen und Bauen, wie das Building Information Modeling (BIM), die auch die Möglichkeit zum Einsparen großer Mengen CO2 bürgen, seien derzeit noch nicht ausreichend von der Kommission berücksichtigt worden.
Es müsste demnach eine Lösung gefunden werden, die beide Seiten der Kritiker:innen berücksichtigt. Die Gebäude können in keinem Fall auf dem aktuellen Stand gelassen werden, dennoch sind die Pläne des Bundes aktuell auch zu teuer. Das Verbändebündnis Wohnungsbau und die Gewerkschaft IG Bau werben für einen Mittelweg. Es müsse reichen, nach mittleren Standards zu sanieren, um wirtschaftliche Aspekte und Umweltschutz miteinander in Einklang zu bringen. Wenn man dann beim Heizen und beim Strom erneuerbare Energien verwendet, sei das ein guter Kompromiss.

Und welche Handwerker:innen sollen bauen?

Eine der größten Herausforderungen zur Umsetzung der Richtlinie wird jedoch die Verfügbarkeit von Fachkräften sein. Der große Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften verursacht schon heute Wartezeiten von drei Monaten. Die Tatsache, dass viele Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können, verschärft die Lage weiter. Dazu kommt der anhaltende Materialmangel, sei es bei Dämmplatten, Baustoffen oder Maschinenteilen.

Abonnieren Sie jetzt den ibau Newsletter!

Ähnliche Artikel

19.03.2024 13:20 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
Bisher galt ein Gebäude als umweltfreundlich, das der Umwelt möglichst wenig schadet. Doch dieses Denken könnte bald überholt sein. Das Cradle-to-Cradle-Prinzip möchte mehr: Ein Haus soll nicht nur nicht schaden, sondern einen Mehrwert für die Umwelt bieten – un [...]
22.08.2023 12:09 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
2022 gab es insgesamt weniger Arbeitsunfälle in der Bauwirtschaft, im Vergleich zu den Vorjahren. Dennoch stirbt durchschnittlich rund alle dreieinhalb Tage eine Person auf der Baustelle. Eine erschreckende Tatsache, die angegangen werden muss. [...]
18.07.2023 12:17 | Hannah Simons Veröffentlicht in: Wissenswertes
Ja, der Baustoff Beton ist ein Universaltalent. Aber jede Medaille hat ihre Kehrseite. Beim Beton ist das vor allem der ökologische Fußabdruck. [...]
30.03.2023 16:33 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
Alles im Blick, alle Fäden in der Hand: Bauleiterinnen und Bauleiter müssen während der gesamten Bauphase dafür sorgen, dass der Ablauf reibungslos funktioniert. Hierfür ist viel fachliches Know How erforderlich, aber auch Genauigkeit und Durchsetzungsvermögen. [...]
24.03.2023 13:49 | Lorena Lawniczak Veröffentlicht in: Wissenswertes
Materialknappheit und steigende Preise dominieren die Bauwirtschaft in 2021. Wann wird die Politik angemessen reagieren? Und handelt es sich um eine langfristige Entwicklung? [...]
24.02.2023 11:33 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
Wohnen ist in den letzten Jahren immer teuer geworden. Damit sich auch Menschen mit niedrigem Einkommen noch eine Wohnung leisten können, müssen mehr Sozialwohnungen gebaut werden.  [...]
Lorena Lawniczak

Als Redakteurin bei ibau kümmert sich Lorena Lawniczak um die Erstellung von qualitativem Content für unsere Leser:innen. Sie beschäftigt sich speziell mit Themen zur Leadgenerierung und Sales und verfasst hilfreiche Ratgeber für Unternehmen. Neben diesen Themen setzt sie sich intensiv mit dem Vergaberecht auseinander und schreibt Glossarartikel zu Begriffen rund um Ausschreibungen und Vergaben. Durch ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre hat sie außerdem großes Interesse an digitalen Bereichen, wie dem Online-Marketing.