Kritische Rohstoffe: Deutschlands Versorgung in Gefahr
Ob E-Autos, Solaranlagen oder Smartphones – viele Technologien, die unseren Alltag prägen, könnten ohne bestimmte Rohstoffe gar nicht produziert werden. Doch viele dieser Materialien sind knapp, ihre Förderung problematisch und ihre Versorgung unsicher. Kritische Rohstoffe stehen im Zentrum globaler Abhängigkeiten, mit weitreichenden Folgen für Wirtschaft, Politik und Umwelt. Warum das Thema zunehmend brisant wird, lesen Sie hier.
Das Wichtigste zu kritischen Rohstoffen in Kürze
- Kritische Rohstoffe sind Materialien mit zentraler wirtschaftlicher und technologischer Bedeutung, deren Versorgung wegen hoher Importabhängigkeit, geopolitischer Unsicherheiten, konzentrierter Förderung sowie begrenzter Substituierbarkeit und Recyclingfähigkeit stark risikobehaftet ist
- Unterschied zwischen kritischen und strategischen Rohstoffen: „Kritisch“ steht für hohe wirtschaftliche Bedeutung bei unsicherer Versorgung, „strategisch“ für langfristige Schlüsselrolle; viele Rohstoffe sind beides
- Die Einsatzgebiete kritischer Rohstoffe sind vielfältig und umfassen die Bereiche Elektromobilität, Windkraftanlagen, Solartechnologie, Luftfahrt, Elektronik & Kommunikation sowie LED- & Displaytechnologien
- Die Bauwirtschaft spürt Engpässe direkt, weil Aluminium, Vanadium, Magnesium, Graphit, Seltene Erden & Co. in Fassaden, Leichtbau, Aufzügen, Gebäudetechnik und Energiesystemen stecken – Verzögerungen, Preissprünge und Umplanungen sind die Folge
- Die EU reagiert mit dem Critical Raw Materials Act, durch dessen festgelegte Zielmarken die europäische Versorgung krisenfester, nachhaltiger und unabhängiger werden soll
- Resilienz verlangt Diversifizierung, Recycling/Kreislaufstrategien, strategische EU-Projekte, Monitoring/Vorräte und internationale Partnerschaften – bei stark wachsender Nachfrage
Kritische Rohstoffe gewinnen in Deutschland und ganz Europa zunehmend an Bedeutung. Die Energiewende, die Digitalisierung und der Ausbau moderner Infrastruktur treiben die Nachfrage nach speziellen Metallen und Mineralien stark an. Gleichzeitig steigt die Sorge um eine verlässliche Versorgung, denn viele dieser Rohstoffe stammen aus politisch instabilen Regionen oder werden von wenigen Ländern kontrolliert. Für ein rohstoffarmes Industrieland wie Deutschland ist das ein ernstzunehmendes Risiko. Kritische Rohstoffe sind in Schlüsselbereichen wie der Batterieproduktion, der Windenergie und dem Hochbau unverzichtbar. Ohne sie geraten nicht nur wirtschaftliche Prozesse ins Stocken, sondern auch der Übergang zu einer klimaneutralen Zukunft. Die Europäische Union hat auf diese Herausforderungen reagiert. Mit der sogenannten Liste kritischer Rohstoffe und dem neuen europäischen Gesetz zu kritischen Rohstoffen will sie die Abhängigkeit von Drittstaaten verringern und die Versorgung langfristig sichern. Dabei geht es nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch um geopolitische Stabilität und technologische Souveränität. In diesem Artikel werfen wir einen umfassenden Blick auf die Definition, Ursachen und Folgen, die mit kritischen Rohstoffen einhergehen. Wir zeigen, welche Stoffe betroffen sind, warum gerade die Bauwirtschaft besonders sensibel auf Engpässe reagiert und welche Wege es gibt, die Versorgung auch in Zukunft zu sichern.
- Was sind kritische Rohstoffe?
- Kritische Rohstoffe: Ein Blick auf die EU-Liste
- Versorgung unter Druck: Woher kommen Europas kritische Rohstoffe?
- Der Critical Raw Materials Act: Europas Antwort auf Rohstoffabhängigkeit
- Kritische Rohstoffe: Bedeutung für die Bauwirtschaft in Deutschland
- Ausblick: Die Zukunft kritischer Rohstoffe in Europa und weltweit
- Fazit: Von der Abhängigkeit zur Verantwortung
Was sind kritische Rohstoffe?
Kritische Rohstoffe sind Materialien, die eine zentrale Rolle für Wirtschaft und Technologie spielen und gleichzeitig mit einem hohen Risiko hinsichtlich ihrer Versorgung verbunden sind. Sie sind in vielen Branchen, die eine zentrale Rolle für die Wirtschaft spielen, unverzichtbar: beispielsweise in der digitalen Infrastruktur, der Energieerzeugung oder auch in der Luft- und Raumfahrt. Besonders in Bereichen wie Elektromobilität, Windenergie oder der Herstellung von Hochleistungscomputern sind diese Rohstoffe nicht nur notwendig, sondern strategisch entscheidend.
Die Europäische Kommission definiert kritische Rohstoffe als „die wirtschaftlich wichtigsten Rohstoffe mit hohem Risiko bezüglich Versorgungssicherheit“. Dieses Risiko ergibt sich aus mehreren Faktoren: einer hohen Importabhängigkeit, geopolitischen Unsicherheiten, der Konzentration der Förderung auf wenige Länder sowie begrenzten Möglichkeiten zur Substitution oder zum Recycling. Bei kritischen Rohstoffen besteht für die EU somit ein erhöhtes Risiko von Lieferengpässen, Preisvolatilität und strategischen Abhängigkeiten.
Unterschied zwischen kritischen und strategischen Rohstoffen
Ein zentraler Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Differenzierung zwischen kritischen und strategischen Rohstoffen. Sie unterscheiden sich vor allem in ihrer Bedeutung und den damit verbundenen Risiken. Kritische Rohstoffe sind für die Wirtschaft besonders wichtig. Gleichzeitig besteht ein hohes Risiko bei der Versorgung, etwa aufgrund politischer Abhängigkeiten, niedriger Recyclingquoten oder einer geringen Zahl an Förderländern. Strategische Rohstoffe hingegen sind zentral für die Umsetzung langfristiger politischer und technologischer Ziele, wie etwa der Energiewende, der Digitalisierung oder der nationalen Sicherheit. Ein Rohstoff kann strategisch sein, ohne kritisch zu sein – und umgekehrt. Viele besonders bedeutende Rohstoffe gelten jedoch als beides: kritisch und strategisch.
Kritische Rohstoffe: Ein Blick auf die EU-Liste
Die Europäische Kommission veröffentlicht seit 2011 in regelmäßigen Abständen eine Liste kritischer Rohstoffe („Critical Raw Materials List“). Sie bewertet die Kritikalität von Rohstoffen anhand von zwei Hauptfaktoren: der wirtschaftlichen Bedeutung und dem Versorgungsrisiko. Die wirtschaftliche Bedeutung zeigt auf, wie wichtig ein Rohstoff für verschiedene Industrien in Europa ist. Das Versorgungsrisiko untersucht, wie sicher die Lieferungen sind, wobei Aspekte wie die Herkunftsländer, politische Stabilität, Recyclingmöglichkeiten und Handelsbeschränkungen berücksichtigt werden. Die Liste soll Industrie, Politik und Forschung frühzeitig auf mögliche Engpässe hinweisen. Dadurch sollen gezielte Maßnahmen ermöglicht werden, wie etwa die Förderung von Recycling, die Diversifizierung der Lieferketten oder die Entwicklung von Substituten. Seit der ersten Veröffentlichung im Jahr 2011 ist die Liste kontinuierlich gewachsen, von ursprünglich 14 auf aktuell 34 kritische Rohstoffe seit 2023. Die EU unterteilt die Liste in kritische und strategische Rohstoffe, um eine gezielte Priorisierung und Maßnahmenplanung zu ermöglichen. Im Folgenden wird eine Übersicht dieser Rohstoffe dargestellt, getrennt nach kritischen und strategischen Rohstoffen:
Kritische Rohstoffe | Strategische Rohstoffe |
|---|---|
Antimon | Aluminium/ Bauxit/ Aluminiumoxid |
Arsen | Wismut (Bistmuth) |
Baryt | Bor/Borate |
Beryllium | Kobalt |
Koks/Kokskohle | Kupfer |
Feldspat | Gallium |
Flussspat | Germanium |
Hafnium | Lithium |
Helium | Leichte Seltene Erden (LREE) |
Niob | Magnesium |
Phospohorit | Mangan |
Phosphor | Natürlicher Grafit |
Scandium | Nickel |
Strontium | Metalle der Platingruppe (PGEs) |
Tantal | Schwere Seltene Erden (HREE) |
Vanadium | Siliciummetall |
Titanmetall | |
Wolfram |
Warum braucht Deutschland kritische Rohstoffe? Beispiele und Einsatzgebiete
Die in der EU-Liste aufgeführten kritischen Rohstoffe sind für eine Vielzahl industrieller Anwendungen unerlässlich. Viele davon sind unverzichtbar für Zukunftstechnologien und spielen eine Schlüsselrolle in energie-, klima- und sicherheitspolitischen Strategien. Im Folgenden einige besonders relevante Beispiele:
- Elektromobilität
Lithium, Kobalt, Nickel: Bilden die Grundlage moderner leistungsfähiger Batterien für E-Autos.
- Windkraftanlagen
Seltene Erden (etwa Neodym, Dysprosium): Wichtige Bestandteile der Hochleistungsmagnete, die Windräder antreiben.
- Solartechnologie
Gallium und Indium: Werden für die Herstellung moderner Solarzellen und Photovoltaikmodule benötigt.
- Luftfahrt
Titan, Magnesium, Scandium: Ermöglichen leichte und beständige Komponenten für Flugzeuge und Raumfahrttechnik.
- Elektronik & Kommunikation
Tantal, Germanium, Antimon: Stecken in Mikroprozessoren, Glasfasern, Flammschutzmitteln und Hochfrequenztechnik.
- LED- & Displaytechnologien
Yttrium, Indium, Tellur: Sorgen für Licht, Farbe und Bildqualität in LEDs, Bildschirmen und Sensoren.
Versorgung unter Druck: Woher kommen Europas kritische Rohstoffe?
Die überwiegende Mehrheit der kritischen Rohstoffe wird nicht innerhalb der EU gefördert, sondern aus Drittländern importiert – ein Umstand, der die Europäische Union in eine geopolitisch verletzliche Position bringt. Laut des Rates der EU und des Europäischen Rates bezieht die EU rund 98 Prozent des Bors aus der Türkei, 100 Prozent der schweren Seltenen Erden aus China und 71 Prozent des Platins aus Südafrika. Die Versorgung erfolgt somit jeweils nahezu vollständig aus nur einem Land. Diese extremen Konzentrationen machen die Versorgung nicht nur für wirtschaftliche Turbulenzen, sondern auch für politische Spannungen oder Exportrestriktionen anfällig. Der Wirtschaftsdienst betont, dass in diesem Zusammenhang insbesondere China ins Gewicht fällt. Das Land ist für viele kritische Rohstoffe der dominierende Lieferant: etwa bei Gallium, Germanium, Magnesium, Wolfram, Vanadium und sämtlichen Seltenen Erden. Auch Ausgangsstoffe für Batterien und magnetische Materialien, die für die Energiewende und Digitalisierung essenziell sind, stammen größtenteils aus chinesischer Produktion oder werden dort veredelt. Laut EU-Kommission besteht hier eine besonders kritische Abhängigkeit, die bereits mehrfach politisch instrumentalisiert wurde.
Doch China ist nicht alleiniger Akteur. Weitere wichtige Bezugsquellen der EU sind beispielsweise Brasilien (Niob) oder die Demokratische Republik Kongo (Kobalt). Gleichzeitig versucht die EU, eigene Ressourcen besser zu erschließen. Innerhalb Europas stammen einzelne Rohstoffe beispielsweise aus: Polen (Kupfer, Kokskohle), Spanien (Strontium), Finnland (Nickel), Frankreich (Hafnium) oder Belgien (Arsen). In Deutschland selbst ist die Produktion von heimischen Rohstoffen bislang begrenzt. Laut einer Kurzstudie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) finden derzeit erste Explorationsvorhaben für Lithium und Kupfer statt. Beide Rohstoffe sind von zentraler Bedeutung für die Energie- und Verkehrswende. Allerdings sind die Projekte noch in einem frühen Stadium und erfordern erhebliche Investitionen.
Der Critical Raw Materials Act: Europas Antwort auf Rohstoffabhängigkeit
Diese geopolitische Situation bringt die EU unter Zugzwang: Sie kann nach eigenen Angaben nicht autark werden, will jedoch die Lieferketten diversifizieren, eigene Rohstoffe erschließen und strategische Partnerschaften ausbauen. Mit dem Critical Raw Materials Act (CRMA) hat die Europäische Union im Mai 2024 einen bedeutenden Schritt unternommen, um die Versorgung mit kritischen Rohstoffen sicherer, nachhaltiger und unabhängiger zu gestalten. Die neue Verordnung (EU 2024/1252) reagiert auf die Herausforderungen der grünen und digitalen Transformation sowie auf die Abhängigkeit der EU von den wenigen Ländern, die den Großteil der kritischen Rohstoffe liefern. Der CRMA zielt darauf ab, diese Abhängigkeit zu verringern. Im Mittelpunkt stehen die strategischen und kritischen Rohstoffe, die – wie im ersten Kapitel bereits dargestellt – in den Anhängen des Gesetzes in einer Liste konkret benannt sind.
Die Ziele des Critical Raw Materials Act
Durch festgelegte Zielmarken soll die europäische Versorgung krisenfester, nachhaltiger und unabhängiger werden. Bis zum Jahr 2030 verfolgt die EU mit dem CRMA vier zentrale Ziele:
- Mindestens 10 Prozent des jährlichen Bedarfs der EU an kritischen Rohstoffen sollen durch Förderung innerhalb der EU gedeckt werden
- Mindestens 40 Prozent des jährlichen Bedarfs der EU sollen durch Verarbeitung innerhalb der EU abgedeckt werden
- Mindestens 25 % des jährlichen Bedarfs sollen aus dem Recycling innerhalb der EU hervorgehen
- Für jeden strategischen Rohstoff und jede wichtige Verarbeitungsstufe soll höchstens 65 Prozent des jährlichen Bedarfs der EU aus einem einzigen Drittland gedeckt werden.
Stärkung europäischer Kapazitäten
Das europäische Gesetz zu kritischen Rohstoffen zielt auf den Ausbau der gesamten europäischen Wertschöpfungskette, vom Abbau über Verarbeitung bis hin zum Recycling. Ein Kernstück der Verordnung ist die Förderung sogenannter strategischer Projekte. Gemeint sind Vorhaben, die sich mit Abbau, Verarbeitung oder Recycling kritischer Rohstoffe befassen und die im CRMA festgelegten Kriterien erfüllen. Diese Projekte genießen einen besonderen Status: Genehmigungen sollen schneller erteilt werden, bürokratische Hürden abgebaut und der Zugang zu Finanzmitteln erleichtert werden. Beispiele für strategische Projekte in Deutschland sind etwa das Vorhaben der PCC Thorion GmbH zur Substitution von Batteriegraphit oder das Lithium-Projekt des Unternehmens Eramet, das sowohl den Abbau als auch die Verarbeitung von Lithium für Batterien umfasst. Zudem wurden zentrale Anlaufstellen in den Mitgliedstaaten eingerichtet, die Unternehmen bei Genehmigungsverfahren unterstützen und als Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Verwaltung fungieren. Unternehmen können dabei auf verschiedene EU-Fonds wie InvestEU, den Just Transition Fund oder die Aufbau- und Resilienzfazilität zurückgreifen. Auch nationale Programme, beispielsweise der deutsche Rohstofffonds oder das Förderprogramm STARK, stehen zur Verfügung.
Höhere Resilienz durch Monitoring und Vorratshaltung
Um Engpässe frühzeitig zu erkennen und abzufedern, werden künftig Lieferketten intensiver überwacht. Geplant sind Stresstests, ein koordiniertes System strategischer Rohstoffvorräte und eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Risikovorsorge. So soll Europas Rohstoffversorgung auch in geopolitisch instabilen Zeiten verlässlich bleiben.
Investitionen in Forschung, Innovation und Kompetenzen
Die EU setzt auf den Vorstoß neuer Technologien für die Gewinnung, Verarbeitung und das Recycling kritischer Rohstoffe. Besonders betont wird die Förderung innovativer Verfahren und neuer Technologien, die den Übergang zu einer nachhaltigeren Rohstoffwirtschaft unterstützen. Gleichzeitig sollen Fachkräfte ausgebildet und Kompetenzen gebündelt werden, etwa durch eine eigene Rohstoffakademie und neue Partnerschaften mit Bildungs- und Forschungseinrichtungen.
Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft
Ein wichtiger Teil des europäischen Gesetzes zu kritischen Rohstoffen ist der Aufbau einer kreislauforientierten Rohstoffwirtschaft. Das bedeutet: mehr Rückgewinnung kritischer Rohstoffe aus Abfällen, Ausbau des Sekundärmarkts und einheitliche Zertifizierungsstandards für nachhaltige Rohstoffgewinnung. Auch Menschenrechte, Umweltstandards und Arbeitsbedingungen entlang der globalen Lieferketten sollen stärker berücksichtigt werden.
Globale Partnerschaften und faire Handelsbeziehungen
Weil nicht alle Rohstoffe innerhalb Europas verfügbar sind, setzt die EU auf strategische Partnerschaften mit rohstoffreichen Drittstaaten. Dies soll dazu beitragen, die Versorgung zu diversifizieren und gleichzeitig faire und nachhaltige Bedingungen zu fördern. Zur Koordination und strategischen Steuerung wurde ein Europäischer Ausschuss für kritische Rohstoffe eingerichtet. Im Rahmen der Global-Gateway-Initiative soll der Aufbau nachhaltiger Wertschöpfungsketten auch in Schwellen- und Entwicklungsländern gefördert werden. Geplant ist zudem die Gründung eines "Clubs für kritische Rohstoffe" mit gleichgesinnten Ländern, um faire, sichere und diversifizierte Handelsbeziehungen zu stärken.
Kritische Rohstoffe: Bedeutung für die Bauwirtschaft in Deutschland
Die Bauwirtschaft ist einer der ressourcenintensivsten Sektoren weltweit. Allein in der EU macht die Bauwirtschaft etwa 50 % der gesamten Rohstoffgewinnung aus. Zu den am häufigsten verwendeten Materialien gehören unter anderem Sand, Kies, Beton, Stahl und weitere mineralische Rohstoffe. Doch neben diesen Massenrohstoffen steigt zunehmend der Bedarf an technologischen und kritischen Rohstoffen, beispielsweise durch moderne und nachhaltige Bauweisen wie den Leichtbau, energieeffiziente Gebäude sowie innovative Baustoffe mit speziellen Eigenschaften. Ob beim Hochbau, Infrastrukturausbau oder in der Energietechnik – viele Baustoffe und Bauelemente enthalten Materialien, die auf der EU-Liste der kritischen Rohstoffe stehen oder als besonders versorgungsanfällig gelten. Die Bauwirtschaft ist also zunehmend von der Verfügbarkeit kritischer Rohstoffe betroffen.
Rohstoffe und ihre Anwendung in der Bauwirtschaft
In der modernen Bauwirtschaft kommen zunehmend hochwertige Rohstoffe zum Einsatz, die nicht nur strukturelle, sondern auch funktionale Anforderungen erfüllen müssen. Im Folgenden eine Auswahl kritischer Rohstoffe und ihre typischen Anwendungen:
- Aluminium
Fensterrahmen, Außenfassaden, Geländer, Leichtbauelemente
- Vanadium
Legierungselement in Stahl: Einsatz etwa bei Brücken oder Gebäuden
- Magnesium
Wärmedämmstoffe, Legierungen, tragende Elemente
- Kobalt
Legierungselement, Lithium-Ionen-Batterien für Gebäudeenergiesysteme
- Seltene Erden
Permanentmagnete in Aufzügen, Klimaanlagen, Windturbinen auf Gebäuden
- Graphit
Wärmedämmstoffe, Brandschutz, Dichtungen und Kabelmantel
Auswirkungen von Versorgungsengpässen
Engpässe oder Preissteigerungen bei bestimmten Materialien, wie beispielsweise der Rohstoffmangel an Siliziummetall, wirken sich unmittelbar auf Bauprojekte aus und haben vielfältige Folgen. So kommt es beispielsweise zu Verzögerungen, wenn benötigte Komponenten entweder gar nicht oder nur zu stark erhöhten Preisen verfügbar sind. Dies erschwert insbesondere die verlässliche Kalkulation bei langfristigen Ausschreibungen und führt zu erheblichen Unsicherheiten. Darüber hinaus müssen Planungen häufig angepasst werden, wenn Materialien durch alternative Stoffe ersetzt werden müssen. Besonders stark betroffen ist der Bereich der erneuerbaren Energien: Bauvorhaben wie Windkraftanlagen, Solarfelder oder Ladeinfrastrukturen sind in hohem Maße auf spezifische Materialien angewiesen, die unter die EU-Klassifikation der kritischen oder strategischen Rohstoffe fallen.
Beispiel: Ausbau der Energietechnik
Der geplante Umbau der Energieinfrastruktur in Deutschland – Stichworte Energiewende und Klimaneutralität – verstärkt den Bedarf an kritischen Rohstoffen massiv. Der Bau von Windrädern, Solaranlagen, Stromtrassen und Energiespeichern erfordert eine Vielzahl kritischer Metalle wie
- Neodym für Generatoren mit Magneten in Windkraftanlagen
- Gallium und Silicium für Photovoltaikmodule
- Graphit, Lithium und Nickel für stationäre Batteriespeicher
Somit ist die Bauwirtschaft häufig über technische Komponenten in hohem Maße auf eine verlässliche Versorgung mit kritischen Rohstoffen angewiesen und zugleich besonders verwundbar bei globalen Lieferkettenstörungen.
Ausblick: Die Zukunft kritischer Rohstoffe in Europa und weltweit
Die angestrebte Klimaneutralität der EU bis 2050 erfordert tiefgreifende Transformationen, speziell im Energie- und Technologiesektor. Damit rückt auch die strategische Sicherung des Zugangs zu kritischen Rohstoffen in den Fokus. Denn in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird Europa zunehmend abhängig von kritischen Rohstoffen, darunter seltene Erden und Metalle wie Lithium, Gallium und Germanium. Das hat den Hintergrund, dass diese Stoffe zentrale Bausteine der grünen und digitalen Transformation sind: Sie finden sich in Solarmodulen, Batterien, Windrädern und Computerchips wieder und sind damit in fast allen Technologien enthalten, die für den Klimaschutz, die Digitalisierung, die Industrie und die Verteidigung essenziell sind. Wie der frühere Präsident der Europäischen Investitionsbank, Werner Hoyer, in einer Veröffentlichung der Europäischen Investitionsbank betonte, prägen sie unsere Zukunft auf diesem Planeten – technologisch, wirtschaftlich und geopolitisch. Je weiter wir bei der Dekarbonisierung und Elektrifizierung voranschreiten, desto unverzichtbarer werden diese Rohstoffe.
Die prognostizierte Nachfrage ist enorm. Einer Studie der Europäischen Kommission zufolge könnte sich beispielsweise die Nachfrage nach Lithium in der EU bis 2050 auf das 21-Fache des Niveaus von 2020 erhöhen. Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass sich die weltweite Nachfrage nach kritischen Mineralien wie Kupfer, Kobalt, Mangan und Seltenerdmetallen bis 2030 nahezu versiebenfachen wird, sofern die globalen Klimaziele erreicht werden sollen.
Besonders herausfordernd ist die Versorgungssicherheit: Viele dieser Rohstoffe stammen aus politisch instabilen Regionen oder werden von wenigen Ländern dominiert. Besonders kritisch: China dominiert aktuell den Markt bei vielen dieser Materialien. Diese Abhängigkeiten bergen geopolitische Gefahren, wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Energiekrise gezeigt haben. Strategische Unabhängigkeit und resiliente Lieferketten sind daher ein zentrales politisches Ziel. Ein zusätzlicher Risikofaktor ist das Fehlen wirtschaftlich sinnvoller Ersatzstoffe für viele kritische Rohstoffe. Das Green Economy Paper des Kompetenznetzwerks Umweltwirtschaft.NRW (KNUW) identifiziert in diesem Zusammenhang gravierende Schwachstellen in der Rohstoffversorgung der Umweltwirtschaft.
Ein vollständiger Eigenabbau innerhalb Europas ist unrealistisch. Laut einer Kurzstudie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) gibt es zwar über 100 Explorationsprojekte in Deutschland, insbesondere zu Lithium und Kupfer, doch viele davon befinden sich noch in einem frühen Stadium. Ihre technische und wirtschaftliche Realisierbarkeit ist oftmals unklar, und auch ökologische Fragen bleiben in vielen Fällen ungelöst. Vielversprechender sind internationale Kooperationen. So unterstützt die EU im Rahmen der AfricaMaVal-Initiative gezielt den Ausbau nachhaltiger Rohstoffpartnerschaften mit afrikanischen Staaten. Ein weiterer Schlüssel ist das Recycling. Viele kritische Rohstoffe, beispielsweise Aluminium, Kobalt oder Nickel, haben ein erhebliches Rückgewinnungspotenzial. Die Umweltwirtschaft NRW etwa setzt stark auf Kreislaufstrategien, um unabhängiger von Importen zu werden und gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck zu verringern.
Fazit: Von der Abhängigkeit zur Verantwortung
Kritische Rohstoffe sind ein zentrales Thema unserer Zeit. Sie betreffen weit mehr als nur die Industrieproduktion oder geopolitische Debatten. Sie stehen im Mittelpunkt der globalen Transformation hin zu einer digitalen, klimafreundlichen und technologisch souveränen Zukunft. Gerade für Deutschland und Europa wird es entscheidend sein, wie gut es gelingt, Versorgungssicherheit mit Umwelt- und Sozialstandards sowie wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen. Die Abhängigkeit von wenigen Förderländern, steigende Nachfrage und unzureichende Recyclingstrukturen machen kritische Rohstoffe zu einem echten strategischen Risiko. Insbesondere in der Bauwirtschaft, der Energietechnik und der Elektromobilität ist der Bedarf enorm. Ohne die unentbehrlichen Rohstoffe wie Kupfer, Lithium, seltene Erden oder Aluminium wird der Wandel zur nachhaltigen Infrastruktur kaum möglich sein. Gleichzeitig zeigt sich: Es gibt bereits heute konkrete Ansätze, um das Risiko zu minimieren. Ob durch das europäische Gesetz zu kritischen Rohstoffen, die Förderung technologischer Alternativen, Diversifizierung der Lieferketten, Recyclingkonzepte oder internationale Rohstoffpartnerschaften – Europa beginnt, seine Strategie neu auszurichten. Nur wenn wir den Rohstoffbedarf mit Weitsicht und Verantwortung gestalten, kann aus der Abhängigkeit eine neue Form von Rohstoffsouveränität entstehen, als Grundlage für eine zukunftsfähige Gesellschaft.


