Beton: Der Baustoff von gestern?

Erstveröffentlichung: 28.02.2022 13:08 |

Ja, der Baustoff Beton ist ein Universaltalent. Aber jede Medaille hat ihre Kehrseite. Beim Beton ist das vor allem der ökologische Fußabdruck.

Beton: Der Baustoff von gestern? © Igor Sokolov / stock.adobe.com

Diverse Quellen zählen die positiven Eigenschaften auf, mit denen Beton es zum “Baustoff des 20. Jahrhunderts” geschafft hat - und dabei ist, auch “Baustoff des 21. Jahrhunderts” zu werden. Sei es die hohe Druckfestigkeit, die freie Formbarkeit, oder die Fähigkeit, für ein gutes Raumklima zu sorgen. Aber 40 Prozent aller menschengemachten CO2-Emissionen fallen beim Bauen an, ein großer Teil davon durch Beton. Während alle über das Fliegen und die Ernährung reden, wird der Bausektor kaum in den Blick genommen. Aber eines steht fest: Ohne eine Betonwende sind alle Klimaziele zum Scheitern verurteilt.

Problem Nummer 1: Zement der Klimakiller

Beton ist ein Gemisch aus Zement, Kies oder Sand und Wasser. Das CO2-Problem kommt dabei eindeutig vom Zement. Bei der Zementherstellung wird Calciumoxid benötigt. Gewonnen wird es aus Kalkstein, der im Wesentlichen aus Calciumkarbonat (CaCO3) besteht. Bei der Verbrennung zu Calciumoxid (CaO) wird CO2 freigesetzt:

CaCO3 → CaO + CO2

Doch dieser Kohlenstoffdioxid ist nur ein Teil der Emissionen. Bei der Verbrennung müssen die Stoffe auf mehr als 1400 Grad Celsius erhitzt werden. Dazu werden oft fossile Brennstoffe verwendet, was die Klimawirkung verdoppelt.

Wie hoch der CO2-Ausstoß genau ist, wird immer noch diskutiert. Die Schätzungen schwanken zwischen 100 Kilogramm und 900 Kilogramm CO2 pro Tonne Zement. Um eine ungefähre Ahnung von dem Ausmaß zu bekommen kann man kalkulieren, dass bei der Herstellung von einem Kubikmeter Stahlbeton plus des darin befindlichen Stahls durchschnittlich 320 bis 340 Kilogramm CO2 emittiert werden - Das ist so viel CO2 wie 4.000 Bäume einen Tag lang umsetzen. Bei einem Einfamilienhaus werden ungefähr 110 m3 Beton benötigt. Es wäre überflüssig auszurechnen, wie viel Waldfläche man benötigt, um den CO2-Ausstoß der Betonherstellung für ein einziges Einfamilienhaus zu kompensieren. Und das ist nur die Produktion des Betons.

Zwar entsteht bei der Herstellung von einer Tonne Zement weniger CO2 als bei der Verhüttung von Stahl, aber die schiere Menge stellt den Kern des Problems dar. 4,6 Milliarden Tonnen Zement werden jährlich hergestellt. Aus der daraus hergestellten Menge Beton könnte man eine 30 Zentimeter dicke und über 100 Meter hohe Mauer rund um den Äquator bauen. Und das jedes Jahr. Laut dem Weltklimarat gehen drei Milliarden Tonnen CO2 jährlich auf die Produktion von Zement zurück. Das sind bis zu zehn Prozent des vom Menschen ausgestoßenen Treibhausgases. Eigentlich sollte der Schluss also klar sein: Die Menschheit muss weg vom Beton - aber das Gegenteil ist der Fall. Zwischen 2011 und 2013 wurde in China so viel Beton hergestellt und verbaut wie in der Geschichte der USA insgesamt.

Alternativen: Bauen mit Holz, Recycling-Beton und vieles mehr

Doch wie kommen wir weg von Beton? Das sollte doch eigentlich keine große Herausforderung sein, schließlich hört man immer wieder von Alternativen zu konventionellem Beton. Auch wir haben erst vor kurzem über Beton mit selbstheilenden Fähigkeiten und lebenden Beton berichtet. Oder noch einfacher: Die Menschen früher waren auch mit Lehm, Stroh und Holz zufrieden, heute gelten diese Materialien als nachhaltige Baustoffe. Fangen wir mit dem Bauen mit Holz an: Wenn man 25 Prozent der jährlichen Betonmenge durch Holz ersetzen will, müsste man einen neuen Wald pflanzen, der anderthalb mal so groß ist wie die Fläche Indiens.

Innovation 1: Gradientenbeton

Werner Sobek, emeritierter Professor der Universität Stuttgart, hatte das Ziel durch Hohlräume die Menge des benötigten Beton so weit wie möglich zu reduzieren. Gradientenbeton ist Beton mit der Porenstruktur eines Schwammes. So ist es leichter und dennoch stabil. Allerdings steckt der Teufel im Detail: Die Größe der Poren muss abhängig von ihrer Beanspruchung verteilt werden. Doch woher weiß man, wie die Beanspruchungsverteilung in so einem dreidimensionalen Gebilde ist?

Innovation 2: Recycling-Beton

Ok, aber sind wirklich solche komplizierten Ideen nötig? Kann man Beton nicht einfach recyclen? Ja, kann man, aber das Produkt ist auf dem Markt noch immer ein absolutes Nischenprodukt. Warum, wenn er doch die Lösung unseres Problems sein könnte? Das Problem ist, dass dadurch kaum CO2-eingespart wird. Der Ortbeton muss zerkleinert werden, aus der Mischung werden dann murmelgroße Kiessteinchen abgetrennt und zuletzt im Betonwerk mit frischem Zement, Wasser und Sand vermengt. Der einzige recycelte Rohstoff ist also der Kies. Damit hilft Recyclingbeton zwar dabei, Rohstoffe zu sparen, aber bei der CO2-Bilanz tut sich kaum etwas. Man spart eventuell beim Transport der Zuschlagstoffe, also von Sand und Kies, wenn der zu recycelnde Beton nicht weit weg ist. Aber über 98 Prozent der CO2-Emissionen des Betons stammen aus der Zementherstellung und die wurde - zumindest bei dieser Art des Recycling-Betons - nicht umgangen.

Innovation 3: Medizinische Masken machen Beton stabiler

Ausgediente Corona-Masken müssen nicht zwangsläufig die Müllberge weiter ansteigen lassen, sondern sollten erst geschreddert und dann in Beton gemischt werden – dieser Meinung sind zumindest die Forscher:innen des Royal Melbourne Institute of Technology in Australien. Die Masken bestehen nämlich aus den zwei Kunststoffarten Polyethylen und Polypropylen, die über genau die Eigenschaften verfügen, die auch für Beton wichtig sind. Sie sind leicht und strapazierfähig; gleichzeitig können ihnen Hitze, Kälte und Druck nichts anhaben. Die Forscher:innen untersuchten im Rahmen eines Forschungsprojektes, wie sich der so angereicherte Beton in seinen Eigenschaften veränderte und kamen zu einem erfreulichen Ergebnis: Die in den Corona-Masken enthaltenen Kunststoffe verbesserten wesentliche Eigenschaften des Betons:

  • die Druckbeständigkeit erhöhte sich um 15 Prozent
  • die Elastizität stieg um 12 Prozent
  • die Beständigkeit gegen Biegebelastungen erhöhte sich um 21 Prozent

Die Forscher:innen vermuten, dass die dem Beton zugeführten Kunststoffe dafür sorgen, dass sich der Zement besser mit den Zuschlagstoffen verbinden kann. Wichtig ist hierbei aber die richtige Dosierung. Wenn der Kunststoffanteil einer Beton-Kunststoff-Mischung zu hoch ausfällt, hat das nämlich negative Auswirkungen auf die Qualität.

Innovation 4: Carbonbeton (Beton mit Carbonbewehrung) als Alternative zu Stahlbeton

Brücken und Hochhäuser sind bisher ohne Stahlbeton kaum denkbar. Doch mittlerweile gibt es auf dem Markt eine Alternative, mit der sogar schon eine Autobahnbrücke gebaut wurde. Die Rede ist von Carbonbeton. Bei Carbon handelt es sich um eine Kohlenstofffaser. Aus dieser wird die mattenähnliche Carbonbewehrung hergestellt, die dem Carbonbeton die Stabilität verleiht, die Stahlbeton durch die Stahlbewehrung erhält.

Carbonbeton bringt gegenüber einer Bewehrung aus Stahl vor allem zwei entscheidende Vorteile mit sich. Zum einen trägt Carbon sechsmal so viel wie Stahl. Das heißt, dass eine Carbonbewehrung deutlich dünner sein kann als ihr Pendant aus Stahl. Außerdem rostet Carbon im Gegensatz zu Stahl nicht. Wo dieser eine dicke Betonhülle braucht, um Korrosion zu verhindern, ist das bei Bauwerken aus Carbonbeton nicht der Fall. Alles, was mit einer Carbonbewehrung gebaut wird – seien es Brücken oder Gebäude – kommt also mit deutlich weniger Beton aus. Hauswände aus Carbonbeton brauchen nur halb so viel Beton wie solche aus Stahlbeton – und somit wird auch nur halb so viel CO2 emittiert.

Carbonbeton wurde bereits erfolgreich beim Bau einer Autobahnbrücke eingesetzt. Über die A1 im Münsterland wurde eine in die Jahre gekommene Brücke mit Stahlbewehrung durch eine 45 Meter lange Brücke aus Carbonbeton ersetzt. Diese kommt mit weniger Beton aus als die Vorgängerin, weshalb auf den bei Brücken dieser Größe eigentlich unbedingt erforderlichen Mittelpfeiler verzichtet werden konnte – kein Wunder also, dass die Brücke als Rekordbrücke bezeichnet wird.

Umweltfreundlichere Betonvarianten

Das ist nur ein kleiner Einblick in die zahlreichen Ideen, mit denen man versucht hat, Beton umweltfreundlicher zu gestalten. Man könnte noch seitenweise über CO2-aufnehmenden Beton, kalzinierten Ton oder was es sonst noch alles gibt, reden. Am Ende steht aber die Erkenntnis: Es gibt bisher keinen Ansatz, der in den Massen, in denen wir Beton ersetzen müssen, funktioniert. Weltweit ist die Zementherstellung eine der größten CO2-Quellen überhaupt, nach dem Energiesektor und der großflächigen Vernichtung von Wäldern.

Mit dem Unterschied: Im Energiesektor gibt es mittlerweile zahlreiche funktionierende Alternativen, sei es Wind- oder Wasserkraft, Solarenergie oder Biogas. Beim Zement nicht.

Problem Nummer 2: Die Kies-Knappheit

Kies wird immer knapper, das zeigen Zahlen einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Deswegen steigen auch die Kiespreise langsam, aber sicher - insbesondere im Norden Deutschlands. Auch wenn Recycling-Beton bei der CO2-Bilanz nicht viel ausrichtet, wird mit ihm der Kies ersetzt. Trotzdem wird Recycling-Beton kaum genutzt. Die Planer zögern und selbst staatliche Bauherren schreiben ihn nur selten aus. Ich lehne mich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass die Betonindustrie eine konservative Industrie ist. Das Tempo ist das, was zählt. Und das leidet bei der Verwendung von Recycling-Beton. Also: Lieber schnell statt nachhaltig.

Das Hauptproblem: Beton ist (k)ein Wegwerf-Produkt

Es gibt alle möglichen Ansätze, wie man Beton umweltverträglicher gestalten kann, aber nichts davon kann das riesige Problem, vor dem wir stehen, lösen. Auch wenn es mittlerweile zehngeschössige Gebäude aus Holz gibt und Ziegel, Lehm und Stroh wieder häufiger eingesetzt werden: Diese Werkstoffe können die aktuell verbauten Betonmengen niemals ersetzen. Und wenn doch, würden wir nur in das nächste ökologische Problem schlittern. Wir können niemals genug Holz produzieren, um komplett auf Holzbauten zu wechseln und auch die ganzen Ansätze, die im Labor entstanden sind, sind nicht in der schieren Masse umzusetzen, für die sie benötigt würden. Die Zementindustrie sucht seit Jahrzehnten nach einer Lösung für das Dilemma, dabei ist die eigentlich simpelste Idee die, die am kühnsten ist: Wir denken nicht genug über Zement nach.

Den Baustoff Zement gibt es in jedem Baumarkt und er kostet fast nichts. Man holt einfach ein oder zwei Säcke, gibt das dreifache an Kies dazu, Wasser obendrauf und gut durchrühren. Dann gibt man es in die Schalung und wartet. Schon ist es fertig, das Fundament des Gartenhäuschens oder die Bodenplatte der neuen Veranda. Beton ist ein Produkt, das einmal eingesetzt, theoretisch Jahrzehnte lang Bestand hat. Doch Häuser, die eigentlich eine Ewigkeit stehen könnten, reißen wir schon nach durchschnittlich 50 Jahren ab. Beton ist nicht gut, offensichtlich nicht, aber es ist trotzdem das Beste, was wir aktuell haben - aber unser Verständnis von Beton muss sich wandeln.

Wir sitzen alle in einem Boot – und das geht unter

Europa schluckt etwa fünf Prozent des weltweiten Zementverbrauch. 90 Prozent entfallen auf Schwellen- oder Entwicklungsländer, allen voran China. Dort wird mehr als die Hälfte des Zements verwendet. Doch China hat in den letzten Jahrzehnten viele seiner Bauarbeiten fertiggestellt. Jetzt gilt es abzuwarten, wer das neue China wird – wo als nächstes die Bautätigkeiten explodieren. Vermutlich sind es Indien und viele afrikanische Staaten, mit ihren jungen und wachsenden Bevölkerungen. Wenn man für all diese Menschen ein gebautes Zuhause möchte, mit Frischwasserversorgung, Abwasserentsorgung und Abfallentsorgung, zudem Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung, braucht man ungefähr 250 bis 300 Tonnen Beton pro Person. Das bedeutet, es müssten sekündlich 800 bis 1000 Tonnen Rohmaterial mehr aus Steinbrüchen abgebaut und zu Beton verarbeitet werden. Sekündlich! Deswegen gilt: Ohne Betonwandel droht Klimawandel.

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Hannah Simons

Als Redakteurin produziert Hannah Simons verschiedene informative Inhalte für die Kund:innen von ibau, insbesondere im Glossar- und Wissenswert-Bereich. Als studierte Germanistin und Philosophin klärt sie schwerpunktmäßig über die Themen Umwelt, Gesellschaft und Vergaberecht auf. Dabei ist es ihr besonders wichtig, komplexe Inhalte einfach und gut verständlich aufzubereiten. Sie möchte, dass sich Leser:innen problemlos über die wichtigsten Themen der Branche informieren können und ihnen dabei genug Zeit und Kapazitäten bleiben, sich auf die Kernaufgaben ihres Gewebes zu konzentrieren.